13. September 2023 Interview, Sektorübergreifende Maßnahmen für planetare Gesundheit

Saubere Luft: „Aktualisierte EU-Richtlinie würde Gesundheit schützen, Leben retten und wäre für Deutschland gut zu meistern“

Dorothea Baltruks ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Centre for Planetary Health Policy (CPHP) in Berlin und arbeitet zum Thema Zukunft des deutschen Gesundheitswesens. Bevor sie zum CPHP kam, arbeitete sie als persönliche Referentin für die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag. Zuvor hatte sie nach ihrem Studium in London zunächst für eine britische Beratungsfirma im Bereich Gesundheit gearbeitet und dann das Ressort „Alter und Pflege“ beim European Social Network geleitet. In den letzten vier Jahren im Vereinigten Königreich leitete sie die Arbeitsfelder Forschungspolitik, Internationales und Datenanalyse des Council of Deans of Health, welches die Gesundheitsfakultäten der Universitäten im Vereinigten Königreich vertritt.

Heute hat das EU-Parlament einer Anpassung der Luftqualitätsrichtlinie zugestimmt, die strengere Grenzwerte zum besseren Schutz der Gesundheit vorsieht. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Clean Air Fund analysiert unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Dorothea Baltruks die Rolle Deutschlands in den Verhandlungen der Richtlinie. Über das Projekt und warum dieses Gesetzesvorhaben aus Planetary Health-Sicht wichtig ist, spricht sie im Interview.

Bei Luftverschmutzung denken wir an stinkende Auspuffgase und rauchende Industrieschlote. Wie groß ist das Problem wirklich?

Baltruks — Bei Luftverschmutzung geht es vor allem um Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon. Tatsächlich ist Luftverschmutzung nach wie vor das größte umweltbezogene Gesundheitsproblem weltweit, auch in Europa und in Deutschland. In Deutschland sterben laut der Europäischen Umweltagentur jedes Jahr etwa 66000 Menschen an den Folgen von Luftverschmutzung. Mit Blick auf die Wirtschaft ergeben sich hierdurch in der Folge ein Schaden von etwa 3,5% des europäischen Bruttoinlandsproduktes.

Mit anderen Worten: das Problem ist nach wie vor wirklich sehr groß. 

Baltruks — Ja, aber man muss sagen, dass sich in den letzten Jahrzehnten schon viel verbessert hat. Wir erinnern uns sicherlich alle an Bilder der Smog-Katastrophe 1952 in London, die Tausende das Leben kostete. Die Zeiten, in denen es in den Städten viele, sehr schmutzige Industrieanlagen gab, sind vorbei. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass sich das Problem teilweise ganz einfach verlagert hat, nämlich in die Länder, wo diese Industrieanlagen jetzt stehen, wie in Indien oder China. Dort ist die Feinstaubbelastung entsprechend extrem hoch, worunter viel mehr Menschen leiden als bei uns.

Innerhalb von Deutschland und Europa hat sich das Problem ebenfalls verlagert, denn heute ist der massiv gewachsene Verkehrssektor einer der Hauptverursacher von Luftverschmutzung. Das sind in der Tat Auspuffgase, aber auch Reifenabrieb. Und die Industrie trägt natürlich weiterhin ihren Teil zur Feinstaubbelastung bei, vor allem durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen, aber auch in der chemischen Industrie. Wir haben ja auch noch immer Kohlekraftwerke in Deutschland. Das ist für die Luftqualität ein großes Problem. Ein weiterer Aspekt, der stark zur Luftverschmutzung beiträgt, ist Holzverbrennung. Sowohl der Holzofen, den man im Haus hat, als auch industrielle Holzverbrennung sowie Waldbrände, die im Zuge der Klimakrise tendenziell zunehmen, tragen erheblich zur Feinstaubbelastung bei.

Wie wirkt sich Feinstaub auf unsere Gesundheit aus?

Baltruks — Die bereits erwähnten Todeszahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Luftverschmutzung betrifft tatsächlich den gesamten Körper. Kleinste Feinstaubpartikel können bis in das Lungengewebe und den Blutkreislauf gelangen und sich damit auf sämtliche Organe auswirken. Das Herz-Kreislauf-System ist durch Entzündungen in Gefäßen bis hin zur „Arterienverkalkung“ betroffen, was Schlaganfälle, die koronare Herzerkrankung, Herzinfarkte und Bluthochdruck begünstigen kann. Luftverschmutzung ist laut wissenschaftlichen Studien auch ein Risikofaktor für andere Volkskrankheiten wie COPD, Diabetes, Demenz, Depressionen oder Angststörungen. Vor allem für Babys und Kinder ist Luftverschmutzung sehr gefährlich, kann ihr Lungenwachstum und die neuronale Entwicklung beeinträchtigen sowie Lungenentzündungen und Asthma verursachen.

Wer sind die größten Verursacher von Luftverschmutzung?

Baltruks — Grundsätzlich entsteht da am meisten Luftverschmutzung, wo fossile Brennstoffe verbrannt werden. Vor allem sind die Regionen betroffen, wo Kohle, Öl, Gas und Holz verbrannt wird, aber die Feinstaubpartikel gelangen auch in die Atmosphäre. Es gibt also einen starken Zusammenhang zwischen den Ursachen der Klimakrise und Luftverschmutzung. Dazu kommt der gesamte Verkehr, überall wo Benzin oder Kerosin verbrannt werden: Die Airlines haben eine große Verantwortung, der Pkw- und Lkw- sowie der Schiffsverkehr – überall dort werden sehr viele Luftschadstoffe erzeugt.

Würde eine Elektrifizierung des Verkehrs das Problem abmildern?

Baltruks — Abmildern ja, aber trotzdem würde man die Luftverschmutzung nicht gänzlich loswerden, weil ein nicht unerheblicher Teil der Feinstaubbelastung durch den Reifenabrieb, zum Beispiel beim Bremsen entsteht. Und hier kommt es vor allen Dingen auf die Größe des Fahrzeugs an. Je größer das Auto oder der LKW, desto mehr Reifenabrieb wird erzeugt, gelangt in die Luft und verursacht kleine Partikel, die wir dann einatmen.

Die WHO hat ihre Leitlinien für Luftqualität 2021 erneuert. In der EU gelten einheitliche Werte zur Beurteilung der Luftqualität, die ebenfalls aktualisiert werden sollen und derzeit diskutiert werden. Wer diskutiert da und worum geht es da genau?

Baltruks — In den letzten Jahrzehnten ist sehr viel zu Luftqualität geforscht worden und wir haben viele neue Erkenntnisse, die die WHO in ihre neuen Empfehlungen eingearbeitet hat. Im Prinzip sagt die WHO, dass es, aus Gesundheitsperspektive betrachtet, kein sicheres Maß an Luftverschmutzung gibt. Aber diese neuen Empfehlungen zielen darauf ab, die gesundheitlichen Folgen von Luftverschmutzung deutlich zu reduzieren.
Die EU-Kommission hat letztes Jahr einen Vorschlag gemacht, wie die Richtlinie, die die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid EU-weit regelt, schrittweise an die WHO-Empfehlungen angepasst werden könnten. Das EU-Parlament hat über den Vorschlag sehr kontrovers diskutiert und im Umweltausschuss zugestimmt. Dann liegt das Vorhaben beim Europäische Rat, in dem die Regierungsvertreter:innen der Mitgliedstaaten abstimmen.

Inhaltlich geht es darum, welche Implikationen das hätte: deutliche positive Effekte für die Gesundheit und Reduzierung volkswirtschaftlicher Kosten durch bessere Luftqualität versus Auswirkungen auf die Industrie, also wirtschaftliche Kosten, insbesondere in den Bereichen Energie, Verkehr und Landwirtschaft.

Welche Rolle spielt Deutschland hierbei?

Baltruks — Deutschland spielt bei den Verhandlungen auf EU-Ebene eine sehr wichtige Rolle. Zum einen hat Deutschland als größter Mitgliedstaat ein großes politisches und wirtschaftliches Gewicht und spielt oft auch eine gewisse Verhandlungsrolle. Wenn es also um Industriesektoren geht, die von schärferen Luftqualitätsrichtlinien betroffen sind, dann ist es für die anderen Staaten sehr wichtig zu wissen, was Deutschland sagt.

Mit Blick auf die neue Luftqualitätsrichtlinie hat sich die Bundesregierung noch nicht klar positioniert. Grundsätzlich unterstützt sie laut Koalitionsvertrag die Novellierung der Luftqualitätsrichtlinie und erkennt die Wichtigkeit der neuen WHO-Empfehlungen für die Gesundheit an. Andererseits hört man immer wieder vom Abwiegen zwischen den Vorteilen für Gesundheit und Kosten für die Wirtschaft oder Einzelpersonen.

Unserer Meinung nach sollte und könnte Deutschland eine führende Rolle einnehmen, denn wir haben bereits einen sehr guten Weg hinter uns. In den letzten Jahrzehnten haben wir zahlreiche Maßnahmen umgesetzt und damit unsere Luftqualität deutlich verbessert. Insgesamt blicken wir also bereits auf eine Erfolgsgeschichte – gerade auch verglichen mit einigen anderen EU-Staaten, die viele der Schritte noch vor sich haben, die wir schon gegangen sind. Sollten die Vorschläge der EU-Kommission also durchkommen, wäre das für Deutschland wirklich kein überforderndes Regularium. Deutschland würde die meisten dieser neuen Richtwerte relativ leicht in den nächsten sieben Jahren erreichen können. Mit anderen Worten: Die Anstrengungen würden sich für uns und auch für die Wirtschaft sehr in Grenzen halten, da würden die Gewinne für unsere Gesundheit klar überwiegen.

Was sollte jetzt in Deutschland geschehen?

Baltruks — Wichtig ist, dass wir die ökologische Transformation und die Gesundheitsgewinne, auch durch bessere Luftqualität, besser zusammen denken und zusammenführen und die Akteur:innen eng vernetzen, die an diesen beiden Schnittstellen arbeiten. In Deutschland beschäftigen sich vor allen Dingen Umweltpolitiker:innen und Gesundheitsfachleute mit Luftverschmutzung, in der Regel aber getrennt von einander. Genau diese bessere Vernetzung von verschiedenen Akteur:innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Gesundheitswesen und Wissenschaft wollen wir mit unserem Projekt mit dem Clean Air Fund erreichen.

Obwohl die Evidenz zur Bedeutung von Luftqualität für Gesundheit wächst, kommt das Thema in Deutschland bislang meiner Ansicht nach zu kurz. Die möglichen Gesundheitsgewinne für jede:n Einzelne:n, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft als Ganzes sollten unserer Meinung nach mehr in den Vordergrund rücken. Gleichzeitig hat die Bekämpfung von Luftverschmutzung auch große Überschneidungen mit Klima- und Umweltschutz. Dies zusammenzubringen, auch im Sinne des Planetary Health Gedanken, den wir beim CPHP immer nach vorne stellen, ist eine sehr große Chance.

Das Interview führte Maike Bildhauer. Mitarbeit: Lilli Blank.  

Durch dieses und weitere Interviews mit unseren Wissenschaftler:innen wollen wir aktuelle Debatten rund um planetare Gesundheit aufgreifen und über unsere Arbeit und Schwerpunkte informieren.

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