Stel­lung­nah­me zum Refe­ren­ten­ent­wurf des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Gesund­heit — Ent­wurf eines Geset­zes zur Stär­kung der Öffent­li­chen Gesund­heit

Der Koali­ti­ons­ver­trag der Regie­rungs­par­tei­en von 2021 „Mehr Fort­schritt wagen“ sieht in Reak­ti­on auf die Erfah­run­gen des COVID-19-Pan­de­mie-Manage­ments in Deutsch­land unter ande­rem vor, ein neu­es „Bun­des­in­sti­tut für Öffent­li­che Gesund­heit“ ein­zu­rich­ten. Die­ses soll für Kom­mu­ni­ka­ti­on und gesund­heit­li­che Auf­klä­rung, für soge­nann­te Public-Health-Akti­vi­tä­ten sowie für die Ver­net­zung des Öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes (ÖGD) zustän­dig sein. Ger­ne neh­men wir die Mög­lich­keit einer Stel­lung­nah­me zu dem aktu­el­len Refe­ren­ten­ent­wurf eines Geset­zes zur Stär­kung der öffent­li­chen Gesund­heit (Stand 13.06.2024) an.

Ein­gangs wei­sen wir noch­mals auf die Posi­tio­nen und Aus­sa­gen hin, die wir und Ande­re, bei­spiels­wei­se in dem Kom­men­tar „Ein neu­es Bun­des­in­sti­tut für öffent­li­che Gesund­heit – Die Lösung aller Pro­ble­me?“ (Novem­ber 2022) oder in zahl­rei­chen Stel­lung­nah­men, wie die des Zukunfts­fo­rums Public Health (ZfPH), „Bun­des­in­sti­tut für „Prä­ven­ti­on und Auf­klä­rung in der Medi­zin“: Ver­pass­te Chan­ce für Public Health in Deutsch­land!“ (Novem­ber 2023) geäu­ßert haben. Die­se haben wei­ter­hin Gül­tig­keit.

In Bezug auf den aktu­el­len Refe­ren­ten­ent­wurf machen wir die fol­gen­den aus­ge­wähl­ten inhalt­li­chen und pro­zes­so­ra­len Anmer­kun­gen: 

1. Ziel­aus­rich­tung auf Erhö­hung der gesund­heit­li­chen Chan­cen­ge­rech­tig­keit: In der Begrün­dung sowie im Geset­zes­text ist das BIPAM noch nicht aus­rei­chend stark auf die Erhö­hung der gesund­heit­li­chen Chan­cen­ge­rech­tig­keit aus­ge­rich­tet. Gesund­heit­li­che Chan­cen­ge­rech­tig­keit wird defi­niert als Zustand, in dem kei­ne unge­rech­ten, ver­meid­ba­ren oder beheb­ba­ren Unter­schie­de im Gesund­heits­zu­stand zwi­schen sozi­al, wirt­schaft­lich, demo­gra­fisch oder geo­gra­fisch defi­nier­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen bestehen.1 Die allei­ni­ge Reduk­ti­on der Häu­fig­keit ein­zel­ner Erkran­kun­gen in der Bevöl­ke­rung reicht daher nicht aus, um gesund­heit­li­che Chan­cen­ge­rech­tig­keit jetzt und für zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen zu stär­ken.

2. Health in all poli­ci­es-Ansatz zum Leben erwe­cken: Die Begrün­dung des Geset­zes­ent­wur­fes besagt, dass das Bun­des­in­sti­tut für Prä­ven­ti­on und Auf­klä­rung in der Medi­zin (BIPAM) auf der Grund­la­ge des „Health in all Policy“-Ansatzes basie­re. Dies ist jedoch im Geset­zes­ent­wurfstext bis­her nicht aus­rei­chend dif­fe­ren­ziert dar­ge­stellt. Das BIPAM wird im Geschäfts­be­reich des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­ums ange­sie­delt sein, kann aber sei­ne Wirk­sam­keit im Sin­ne von Health in all Poli­ci­es nur ent­fal­ten, wenn es ers­tens auch von ande­ren Sek­to­ren wahr- und ernst­ge­nom­men wird und zwei­tens mit Behör­den in den Geschäfts­be­rei­chen ande­rer Bun­des­mi­nis­te­ri­en stark koope­riert. Das BIPAM wird, so vor­ge­se­hen, kei­ne Durch­griffs­rech­te in ande­re Sek­to­ren haben und muss daher ein­mal mehr mit Evi­denz, Ver­net­zung und guten Ange­bo­ten punk­ten. Vor­schlag: Ergän­zung eines Text­ab­schnitts zu Zusam­men­ar­beit und akti­ver Koope­ra­ti­on mit wei­te­ren Bun­des­be­hör­den, z.B. bei der Daten­ge­ne­rie­rung, ‑nut­zung und ‑bewer­tung. Dies könn­te bei­spiels­wei­se im Rah­men der Umset­zung der deut­schen Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie, der deut­schen Anpas­sungs­stra­te­gie an den Kli­ma­wan­del oder wei­te­ren res­sort­über­grei­fen­den Instru­men­ten gesche­hen. Die im Rah­men der Wei­ter­ent­wick­lung der deut­schen Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie 2024 erstell­ten Trans­for­ma­ti­ons­be­rich­te erwäh­nen Gesund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on sowie den health in all poli­ci­es-Ansatz. Hier besteht die Mög­lich­keit, Syn­er­gien stär­ker zu nut­zen. Ein Hin­weis im Geset­zes­text zu nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung wäre daher rat­sam, z.B. in §1 Absatz 2 als neu­en letz­ten Satz: „Das Bun­des­in­sti­tut leis­tet damit auch einen wich­ti­gen Bei­trag zur nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung.“

3. Aus­wir­kun­gen für die Gesund­heit sys­te­ma­tisch erfas­sen: Wir begrü­ßen, dass die Rol­le des BIPAM in der Evi­denz­ge­ne­rie­rung und ‑nut­zung sowie in der Kom­mu­ni­ka­ti­on in dem aktu­el­len Ent­wurf gestärkt wur­de. Gleich­zei­tig bleibt die Fra­ge offen, wer das gene­rier­te Wis­sen nutzt und wem es nützt. Gesund­heits­schä­den ent­ste­hend zumeist außer­halb des Gesund­heits­we­sens. Gesund­heits­ge­win­ne las­sen sich in Lebens­wel­ten, wie Kitas, Schu­len, Betrie­ben, Pfle­ge­hei­me, Nach­bar­schaf­ten und den Kom­mu­nen erzie­len, die selbst wie­der­um maß­geb­lich von über­ge­ord­ne­ten Rah­men­be­din­gun­gen beein­flusst wer­den. Poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen und Maß­nah­men in allen Poli­tik­be­rei­chen (z.B. Ver­kehr, Umwelt, Bau, Land­wirt­schaft, Arbeit & Sozia­les, Sicher­heit, Wirt­schaft) und ihre gesund­heit­li­chen Fol­gen sind daher äußert rele­vant für die Prä­ven­ti­on von Krank­hei­ten und für die För­de­rung der Gesund­heit der Bevöl­ke­rung. Vor­schlag: Ergän­zung §2 Absatz 2: „(2) Das Bun­des­in­sti­tut nimmt Auf­ga­ben nach Absatz 1 ins­be­son­de­re auf fol­gen­den Gebie­ten wahr: 1. Beob­ach­tung und Bewer­tung von gesund­heits­re­le­van­ten Fak­to­ren und von gesund­heit­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen (…)“ (Ergän­zung von „und Bewer­tung“). Somit wür­de der Grund­stein für Gesund­heits­fol­gen­ab­schät­zun­gen im BIPAM gelegt. Die dar­aus gene­rier­te Evi­denz wür­de unter ande­rem auch der Nach­hal­tig­keits­be­richt­erstat­tung im Rah­men der deut­schen Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie die­nen und lie­fert Daten zur evi­denz­ori­en­tier­ten Ent­schei­dungs­fin­dung im Gesund­heits­we­sen und in ande­ren Poli­tik­fel­dern.

4. Par­ti­zi­pa­ti­ve Aus­ge­stal­tung des BIPAM: Das Gesetz ist gene­rell sehr kurz­ge­fasst. Poli­tisch gesteu­ert wird das BIPAM bei einem so kur­zen Gesetz über Ver­ord­nun­gen direkt aus dem BMG. Damit die­ser Pro­zess unter der Beglei­tung von Public Health-Akteur:innen und des Par­la­ments best­mög­lich infor­miert wird, sind Pro­zess­fra­gen zur wei­te­ren Errich­tung des BIPAM zeit­nah zu klä­ren. Hier­zu ist ein trans­pa­ren­ter und mög­lichst par­ti­zi­pa­ti­ver Betei­li­gungs­pro­zess bis min­des­tens Ende 2025, also für das ers­te Jahr des BIPAMs, wün­schens­wert. Wir ste­hen Ihnen hier­zu ger­ne wei­ter­hin in bera­ten­der Rol­le zur Ver­fü­gung.

1 World Health Orga­niza­ti­on (2021). Health Pro­mo­ti­on Glos­sa­ry of Terms 2021.

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