Struk­tu­rel­le Rah­men­be­din­gun­gen behin­dern Kli­ma­schutz im ärzt­li­chen All­tag

Ber­lin, den 11. Mai 2023 Immer mehr Mediziner:innen ver­su­chen, Kli­ma­schutz- und ‑anpas­sungs­maß­nah­men im Pra­xis- und Kli­nik­all­tag umzu­set­zen – doch poli­ti­sche und struk­tu­rel­le Rah­men­be­din­gun­gen erschwe­ren dies. Zu die­sem Ergeb­nis kommt eine aktu­el­le und reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge der Stif­tung Gesund­heit im Auf­trag des Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy (CPHP), die die Autorin­nen zum 127. Deut­schen Ärz­te­tag vor­le­gen, der am 16. Mai in Essen beginnt.

Unser Gesund­heits­sys­tem ist auf die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels nicht aus­rei­chend vor­be­rei­tet. Zu die­sem Schluss kam der Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der Ent­wick­lung im Gesund­heits­we­sen in sei­nem Gut­ach­ten ‚Resi­li­enz im Gesund­heits­we­sen‘, das er im Janu­ar 2023 vor­ge­stellt hat­te. Bereits 2021 hat der Deut­sche Ärz­te­tag (DÄT) umfas­sen­de Beschlüs­se zum The­ma „Kli­ma­schutz ist Gesund­heits­schutz“ ver­ab­schie­det. Die heu­te ver­öf­fent­lich­te Umfra­ge zeigt aller­dings: Die Umset­zung inner­halb der Ärzt:innenschaft wird noch immer von hin­der­li­chen oder feh­len­den Rah­men­be­din­gun­gen gebremst, obwohl der Anteil der Mediziner:innen, die ver­su­chen Kli­ma­schutz- und ‑anpas­sungs­maß­nah­men in ihrem Arbeits­all­tag umzu­set­zen, im Ver­gleich zum Vor­jahr gestie­gen ist. Gel­ten­de Hygie­ne­vor­schrif­ten sowie Ein­kaufs- und Ver­gü­tungs­sys­te­me gestal­ten die Umset­zung schwie­rig. In der Ver­ant­wor­tung sehen die Ärzt:innen hier Poli­tik, Selbst­ver­wal­tung, Ärz­te­kam­mern und Fach­ge­sell­schaf­ten: Von die­sen erwar­ten sie unter­stüt­zen­de Rah­men­be­din­gun­gen, Anrei­ze und Emp­feh­lun­gen, um Kli­ma­schutz und ‑anpas­sung tat­säch­lich vor­an­zu­brin­gen.

„Die Kli­ma­kri­se braucht Maß­nah­men auf unter­schied­li­chen Ebe­nen. Je kon­kre­ter, des­to bes­ser. Die Gestal­tung der Rah­men­be­din­gun­gen ist wich­tig, es darf sich jedoch kei­ner dahin­ter ver­ste­cken. Unmit­tel­ba­re Effek­te kön­nen bei der Ver­mei­dung von Über- und Fehl­ver­sor­gung ent­ste­hen. Kon­kre­te Vor­schlä­ge ein­zel­ner Fach­ge­sell­schaf­ten lie­gen vor, sie müs­sen nur umge­setzt wer­den“, sagt Prof. Dr. med. Kai Kol­pat­zik, stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Kura­to­ri­ums der Stif­tung Gesund­heit.

Nach einer ers­ten Befra­gung zu den Kli­ma­schutz-Beschlüs­sen des 125. Ärz­te­tags im Früh­jahr 2022 nahm die neue Erhe­bung nun vier Berei­che in den Blick: Neben ihrer Ein­schät­zung zum Stand der Umset­zung der Beschlüs­se wur­den die Ärzt:innen danach gefragt, wel­che Unter­stüt­zung sie sich hier­für wün­schen. Erst­mals berück­sich­tig­te die Erhe­bung hier­bei expli­zit, inwie­fern Lan­des­ärz­te­kam­mern und Fach­ge­sell­schaf­ten ihrer Ver­ant­wor­tung nach­kom­men und ihre Mit­glie­der aktiv unter­stüt­zen. Das The­ma Hit­ze­schutz im ärzt­li­chen All­tag war ein wei­te­rer Schwer­punkt der aktu­el­len Umfra­ge.

Die wich­tigs­ten Ergeb­nis­se auf einen Blick:

  • Struk­tu­rel­le Rah­men­be­din­gun­gen behin­dern Umset­zung der Beschlüs­se des 125. DÄT für Kli­ma­schutz und ‑anpas­sung – Die Mehr­heit der befrag­ten Ärzt:innen for­dert bes­se­re Rah­men­be­din­gun­gen von Poli­tik, Selbst­ver­wal­tung, Ärz­te­kam­mern und Fach­ge­sell­schaf­ten: So wün­schen sich bei­spiels­wei­se 82 % der Befrag­ten Leit­li­ni­en und Emp­feh­lun­gen zu nach­hal­ti­gen Arbeits­wei­sen und zum kli­ma­be­wuss­ten Umgang mit Medi­zin­pro­duk­ten, 76 % begrü­ßen steu­er­li­che Ver­güns­ti­gun­gen für kli­ma­freund­li­che Maß­nah­men und 57 % eine Abrech­nungs­zif­fer für Hit­ze­be­ra­tung.
  • Kli­ma­re­le­van­te Wei­ter­bil­dung gefragt, aber nicht bekannt — Vie­le Befrag­te wün­schen sich Fort- und Wei­ter­bil­dun­gen, Infor­ma­tio­nen und Initia­ti­ven zu fach­spe­zi­fi­schen Aspek­ten des Kli­ma­schut­zes und zum Umgang mit Kli­ma­wan­del­fol­gen der Bun­des­ärz­te­kam­mer, ihrer Lan­des­ärz­te­kam­mer sowie von den medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten. Bis­her sind die­se weit­ge­hend nicht exis­tent oder nicht bekannt.
  • Prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung spie­len für Kli­ma­schutz und ‑anpas­sung eine wich­ti­ge Rol­le – Bei­de sind aber aktu­ell im Gesund­heits­sys­tem nur wenig vor­ge­se­hen. Ände­run­gen im Abrech­nungs­sys­tem und in der Prio­ri­sie­rung im Gesund­heits­sys­tem wür­den sich posi­tiv auf die Gesund­heit von Patient:innen und Ver­si­cher­ten, die Arbeits­zu­frie­den­heit der Ärzt:innen und die Umwelt aus­wir­ken.
  • Immer mehr Ärzt:innen neh­men gesund­heit­li­che Aus­wir­kun­gen von Hit­ze bei Patient:innen wahr – Die Zahl der Mediziner:innen, die zum Umgang mit Hit­ze­wel­len berät, ist jedoch seit der ers­ten Umfra­ge im Mai 2022 nur leicht von 42 auf 49 % gestie­gen. Auch fehlt es den meis­ten Ärzt:innen an geeig­ne­ten Infor­ma­ti­ons­ma­te­ria­li­en und Fort­bil­dun­gen hier­zu.
  • Vie­le Gesund­heits­ein­rich­tun­gen ohne Hit­ze­schutz — Fast die Hälf­te der Gesund­heits­ein­rich­tun­gen hat nach Anga­ben der Befrag­ten noch immer kei­ne regel­mä­ßi­gen Hit­ze­schutz­maß­nah­men vor­ge­nom­men. Dazu gehö­ren bei­spiels­wei­se geziel­tes Lüf­ten, Ver­schat­tung sowie die Ver­schie­bung von Sprech­zei­ten in die Mor­gen- oder Abend­stun­den.

Zur drin­gend erfor­der­li­chen bes­se­ren Vor­be­rei­tung auf Hit­ze­pe­ri­oden sagt Doro­thea Baltruks, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin im CPHP und Co-Autorin der Umfra­ge: „Um Men­schen in kom­men­den Hit­ze­wel­len ange­mes­sen zu schüt­zen, müs­sen Kran­ken­häu­ser und Pra­xen sich inten­siv vor­be­rei­ten. Andern­falls wer­den hohe Tem­pe­ra­tu­ren wei­ter­hin Gesund­heit und Wohl­be­fin­den vor allem vul­nerabler Grup­pen wie Klein­kin­der, Schwan­ge­re, Men­schen, die im frei­en Arbei­ten, älte­re Men­schen und Men­schen mit Vor­er­kran­kun­gen bedro­hen.“

Was ist zu tun?

Die Autorin­nen der Umfra­ge sehen neben poli­ti­schen Ent­schei­dungs­tra­gen­den in ers­ter Linie medi­zi­ni­sche Fach­ge­sell­schaf­ten, Ver­bän­de und Ärz­te­kam­mern in der Pflicht. Die­se soll­ten drin­gend ihre bis­lang unge­nutz­ten Poten­tia­le akti­vie­ren, um Kli­ma­schutz und ‑anpas­sung in Aus- und Wei­ter­bil­dun­gen zu ver­an­kern, und Emp­feh­lun­gen bzw. Leit­li­ni­en zur Umset­zung von Nach­hal­tig­keits­aspek­ten zu for­mu­lie­ren. Auch die Ver­sor­gungs­wer­ke soll­ten ihrer Ver­ant­wor­tung nach­kom­men und Stra­te­gien aus­ar­bei­ten, um kli­ma- und gesund­heits­schäd­li­che Wir­kun­gen ihrer Finanz­an­la­gen zu mini­mie­ren.

Hit­ze­schutz­maß­nah­men soll­ten drin­gend in allen Pfle­ge- und Gesund­heits­ein­rich­tun­gen umge­setzt wer­den. Neben Infor­ma­ti­ons­ma­te­ria­li­en für Mit­ar­bei­ten­de, Patient:innen und Ange­hö­ri­ge soll­ten auch mehr fach­spe­zi­fi­sche Fort­bil­dun­gen zum Umgang mit Hit­ze­pe­ri­oden, ange­bo­ten wer­den.

Wei­ter­hin sehen die Autorin­nen den Kli­ma­pakt Gesund­heit, der Ende 2022 vom Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um und Ein­rich­tun­gen der Selbst­ver­wal­tung geschlos­sen wur­de, als Chan­ce, um kli­ma­freund­li­che Rah­men­be­din­gun­gen für Ärzt:innen schaf­fen – sofern er mit kon­kre­ten Maß­nah­men unter­füt­tert wird.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen:

Baltruks D., Voss M. (2023), Im Rah­men begrenz­ter Mög­lich­kei­ten: Wie Ärzt:innen Kli­ma­schutz- und ‑anpas­sungs­maß­nah­men umset­zen. Ber­lin.

Kon­takt für Pres­se­an­fra­gen:

Mai­ke Bild­hau­er, Refe­ren­tin für Pres­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit
Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy (CPHP)
E‑Mail: presse@cphp-berlin.de
Tel. +49 151 51 92 38 99