Das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) bedankt sich für die Möglichkeit, an der Anhörung des Gesundheitsausschusses teilzunehmen
und schriftlich Stellung zu nehmen.
Wir begrüßen weiterhin das grundsätzliche Vorhaben, die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland zu verbessern. Der vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ vom 9.9.24 (BT-Drucksache 20/12790), der die Einrichtung einer neuen Bundesoberbehörde und Ressortforschungseinrichtung (BIPAM) im Geschäftsbereich des BMG vorsieht, überzeugt jedoch hinsichtlich dieses Ziels weiterhin nicht. Was es braucht, um die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland zu verbessern und langfristig (sowohl über einzelne Lebensspannen hinweg als auch für kommende Generationen) zu erhalten:
a) die Verankerung eines breiten Verständnisses von Gesundheit in gesetzlichen und gesellschaftlichen Normen, welches sich nicht ausschließlich über die Abwesenheit von Krankheit und als Ergebnis medizinischer Praxis definiert. Gesundheit ist insbesondere ein Ergebnis der wirtschaftlichen, umweltbezogenen und soziokulturellen Lebensbedingungen, die durch politische Entscheidungen gestaltet werden, denn diese bedingen die Verwirklichung von Gesundheit im Alltag. Außerdem hängt Gesundheit heute und in Zukunft untrennbar vom Zustand der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde ab und ist vor allem durch die menschengemachten Klima‑, Biodiversitäts- und Verschmutzungskrisen bedroht.
b) aus a) folgt, dass alle politischen Ressorts eine Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung haben und diese auch übernehmen müssen, wenn das eingangs beschriebene Ziel erreicht werden soll. Damit ist im Sinne des skizzierten Verständnisses von Gesundheit insbesondere die Gestaltung gesundheits- und nachhaltigkeitsförderlicher Lebensbedingungen gemeint.
c) um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist in allen politischen Ressorts ein Fokus auf sogenannte Maßnahmen mit Co-Benefits, also Maßnahmen mit Zusatznutzen neben ihrem primären Ziel, zu setzen. Solche Maßnahmen müssen dazu führen, dass sowohl das alltägliche Verhalten, als auch die übergeordneten Funktionsweisen unserer Gesellschaft in den Bereichen Produktion (sämtlicher Güter und Dienstleistungen, z.B. von Nahrungsmitteln), Mobilität und Transport, Infrastruktur- und Bauwesen sowie Energiegewinnung, ‑bereitstellung und ‑nutzung, der Gesundheit und (ökologischen) Nachhaltigkeit zuträglich sind.
d) ein hauptsächlicher Fokus auf gesundheitsbezogene Kommunikation und Informationsvermittlung an die Bevölkerung kann im Licht von a) dem eingangs skizzierten Ziel nicht gerecht werden.
Ohne eine gesamtpolitische Verankerung des Gestaltungsauftrags von gesundheits- und nachhaltigkeitsförderlichen Lebensbedingungen kann das Ziel der Verbesserung und langfristigen Erhaltung der öffentlichen Gesundheit nicht erreicht werden. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso die Einrichtung einer weiteren Behörde auf Bundesebene im Geschäftsbereich eines Ressorts, als alternativlose Lösung für das Problem der gesundheitlichen Ungleichheit und der schlechten Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland propagiert wird. Die direkten negativen Folgen dieses Unterfangens sind:
- die Zerschlagung des RKI und damit die Schwächung seiner internationalen Reputation und Handlungsfähigkeit im Zeitalter von Syndemien (also dem gleichzeitigen Auftreten sich gegenseitig beeinflussender Krankheitsgeschehen verschiedener Genese) sowie die Verunsicherung und Abwanderung von RKI-Mitarbeitenden, also ein Kompetenzverlust
- das Schaffen von redundanten Strukturen im Bereich Datenmanagement und Kommunikation, da die Abgrenzung der Arbeitsbereiche der neuen Behörde und des RKI fachlich nicht sinnvoll möglich sein werden (die nicht evidenzbasierte Trennung der Arbeitsbereiche entlang übertragbarer und nicht-übertragbarer Krankheiten sowie überhaupt der Fokus auf Pathogenese statt Salutogenese wurde schon vielfach von der Fachcommunity kritisiert)
- Notwendigkeit hohen zeitlichen und finanziellen investments bis die neue Behörde überhaupt arbeitsfähig wäre, welches auch direkt in die Stärkung des RKI als nationalem Public Health-Institut gelenkt werden könnte
Eine Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Gesundheitsressorts könnte dann einen Beitrag zu dem genannten Ziel leisten, wenn sie umfassende Gesetzesfolgenabschätzungen hinsichtlich Gesundheit (verstanden wie unter a)) und Gesundheitsgerechtigkeit durchführen würde, die dann im parlamentarischen Prozess verpflichtend berücksichtigt werden müssten oder eine beratende Funktion für andere Ressorts bei der Entwicklung von Strategien oder Gesetzesvorhaben einnehmen könnte. Auch eine integrierte Gesundheitsberichterstattung, die die wirtschaftlichen, umweltbezogenen und soziokulturellen Determinanten von Gesundheit miteinbezieht und die Ausrichtung politischer Entscheidungen an entsprechenden Indikatoren, die ein modernes Verständnis von Gesundheit und Wohlergehen widerspiegeln, sind sinnvoll. Für diese Aufgaben braucht es jedoch nicht zwingend eine neue Behörde, sondern sie können in bestehenden Strukturen und Institutionen verankert und gestärkt werden.
Detaillierte Stellungnahme zu einzelnen Aussagen
„Die politische Vereinbarung zur Errichtung eines Bundesinstituts folgt u. a. den Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie, dass die behördlichen Strukturen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens sich besser vernetzen müssen und insgesamt einer Stärkung bedürfen.“ (Seite 1)
Stellungnahme:
Dem ist zuzustimmen, aber die Schlussfolgerung, dass es im ohnehin stark fragmentierten Public Health-System in Deutschland eine weitere, zusätzliche Instanz braucht, ist nicht valide. Eine (finanzielle) Stärkung der bereits bestehenden, sich über Jahre gut etablierten Strukturen sowie deren Verbesserung, wo es notwendig ist, wäre naheliegender.
„Um den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu gesundheitlichen Informationen zu erleichtern und zu verbessern, soll das Bundesinstitut, neben den umfassenden Informationen auf Basis der Gesundheitsberichterstattung des Bundes, auch ein breites Spektrum an durch Ressort- und Versorgungsforschung generierten Informationen und Erkenntnissen mit Relevanz für die Öffentliche Gesundheit im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Verfügung stellen.“ (Seite 2)
Stellungnahme:
Diese Aufgabenbeschreibung spiegelt den fachlich nicht tragfähigen, ausschließlichen Fokus auf Aufklärung, Informationsbereitstellung und gesundheitsbezogene Kommunikation der neuen Behörde wider. Es fehlt eine klare Ausrichtung auf die Gestaltung der Lebensbedingungen, in denen Menschen leben, lernen, spielen und arbeiten.
„Die im Rahmen der Weiterentwicklung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2024 erstellten Transformationsberichte erwähnen Gesundheitsförderung und Prävention sowie den „Health in All Policies“-Ansatz. Hier besteht die Möglichkeit, Synergien stärker zu nutzen.“ (Seite 2)
Stellungnahme:
Der Verweis auf die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist sehr zu begrüßen, ist sie doch Ergebnis eines ressortübergreifenden Prozesses und Grundlage für die Etablierung der interministeriellen Transformationsteams und die Erstellung der Transformationsberichte – also ein guter Anhaltspunkt dafür, wie eine Realisierung des health-in-all-policies-Ansatzes aussehen könnte. Es wäre wünschenswert, wenn Gesundheit (verstanden wie unter a) beschrieben), nicht mehr als ressortgebundene Aufgabe des BMG verstanden und gesteuert würde und Synergien im Sinne von Maßnahmen mit Co-Benefits realisiert würden. Dafür braucht es jedoch weniger eine neue Behörde, als interministerielle Austauschprozesse und eine gesamtpolitische Ausrichtung auf Gesundheit und (ökologische) Nachhaltigkeit.
Schlussfolgerung:
Die Einrichtung einer neuen Bundesbehörde sollte im Licht des Ziels, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und der entsprechenden Evidenz dazu, wie ein modernes Gesundheitsverständnis und die entsprechende Ausgestaltung von Gesundheitsförderung und Prävention aussehen sollten, überdacht werden. Generell muss der health-in-all-policies Ansatz weniger Lippenbekenntnis als politische Realität werden.
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CPHP-Publikationen unterliegen einem dreistufigen internen Überprüfungsverfahren und geben die Auffassung der Autor:innen wieder.
Schriftliche Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen oder Anträgen reichen wir ein, wenn das CPHP als Sachverständige vom Bundestag oder den Landtagen zu deren Anhörungen eingeladen wurde. Die Stellungnahmen spiegeln die Expertise unserer wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen in Beantwortung der spezifischen Fragestellungen der Anhörungen wider.