Schrift­li­che Stel­lung­nah­me im Rah­men der öffent­li­chen Anhö­rung am 16.10.2024 zum Gesetz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung “Ent­wurf eines Geset­zes zur Stär­kung der Öffent­li­chen Gesund­heit”, BT- Druck­sa­che 20/12790 (9.9.24)

Das Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy (CPHP) bedankt sich für die Mög­lich­keit, an der Anhö­rung des Gesund­heits­aus­schus­ses teil­zu­neh­men
und schrift­lich Stel­lung zu neh­men.

Wir begrü­ßen wei­ter­hin das grund­sätz­li­che Vor­ha­ben, die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land zu ver­bes­sern. Der vor­ge­leg­te „Ent­wurf eines Geset­zes zur Stär­kung der Öffent­li­chen Gesund­heit“ vom 9.9.24 (BT-Druck­sa­che 20/12790), der die Ein­rich­tung einer neu­en Bun­des­ober­be­hör­de und Res­sort­for­schungs­ein­rich­tung (BIPAM) im Geschäfts­be­reich des BMG vor­sieht, über­zeugt jedoch hin­sicht­lich die­ses Ziels wei­ter­hin nicht. Was es braucht, um die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land zu ver­bes­sern und lang­fris­tig (sowohl über ein­zel­ne Lebens­span­nen hin­weg als auch für kom­men­de Gene­ra­tio­nen) zu erhal­ten:

a) die Ver­an­ke­rung eines brei­ten Ver­ständ­nis­ses von Gesund­heit in gesetz­li­chen und gesell­schaft­li­chen Nor­men, wel­ches sich nicht aus­schließ­lich über die Abwe­sen­heit von Krank­heit und als Ergeb­nis medi­zi­ni­scher Pra­xis defi­niert. Gesund­heit ist ins­be­son­de­re ein Ergeb­nis der wirt­schaft­li­chen, umwelt­be­zo­ge­nen und sozio­kul­tu­rel­len Lebens­be­din­gun­gen, die durch poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen gestal­tet wer­den, denn die­se bedin­gen die Ver­wirk­li­chung von Gesund­heit im All­tag. Außer­dem hängt Gesund­heit heu­te und in Zukunft untrenn­bar vom Zustand der natür­li­chen Lebens­grund­la­gen auf der Erde ab und ist vor allem durch die men­schen­ge­mach­ten Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen bedroht.

b) aus a) folgt, dass alle poli­ti­schen Res­sorts eine Ver­ant­wor­tung für die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung haben und die­se auch über­neh­men müs­sen, wenn das ein­gangs beschrie­be­ne Ziel erreicht wer­den soll. Damit ist im Sin­ne des skiz­zier­ten Ver­ständ­nis­ses von Gesund­heit ins­be­son­de­re die Gestal­tung gesund­heits- und nach­hal­tig­keits­för­der­li­cher Lebens­be­din­gun­gen gemeint.

c) um die­ser Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den, ist in allen poli­ti­schen Res­sorts ein Fokus auf soge­nann­te Maß­nah­men mit Co-Bene­fits, also Maß­nah­men mit Zusatz­nut­zen neben ihrem pri­mä­ren Ziel, zu set­zen. Sol­che Maß­nah­men müs­sen dazu füh­ren, dass sowohl das all­täg­li­che Ver­hal­ten, als auch die über­ge­ord­ne­ten Funk­ti­ons­wei­sen unse­rer Gesell­schaft in den Berei­chen Pro­duk­ti­on (sämt­li­cher Güter und Dienst­leis­tun­gen, z.B. von Nah­rungs­mit­teln), Mobi­li­tät und Trans­port, Infra­struk­tur- und Bau­we­sen sowie Ener­gie­ge­win­nung, ‑bereit­stel­lung und ‑nut­zung, der Gesund­heit und (öko­lo­gi­schen) Nach­hal­tig­keit zuträg­lich sind.

d) ein haupt­säch­li­cher Fokus auf gesund­heits­be­zo­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on und Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung an die Bevöl­ke­rung kann im Licht von a) dem ein­gangs skiz­zier­ten Ziel nicht gerecht wer­den.

Ohne eine gesamt­po­li­ti­sche Ver­an­ke­rung des Gestal­tungs­auf­trags von gesund­heits- und nach­hal­tig­keits­för­der­li­chen Lebens­be­din­gun­gen kann das Ziel der Ver­bes­se­rung und lang­fris­ti­gen Erhal­tung der öffent­li­chen Gesund­heit nicht erreicht wer­den. Es ist nicht nach­voll­zieh­bar, wie­so die Ein­rich­tung einer wei­te­ren Behör­de auf Bun­des­ebe­ne im Geschäfts­be­reich eines Res­sorts, als alter­na­tiv­lo­se Lösung für das Pro­blem der gesund­heit­li­chen Ungleich­heit und der schlech­ten Gesund­heit der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land pro­pa­giert wird. Die direk­ten nega­ti­ven Fol­gen die­ses Unter­fan­gens sind:

  • die Zer­schla­gung des RKI und damit die Schwä­chung sei­ner inter­na­tio­na­len Repu­ta­ti­on und Hand­lungs­fä­hig­keit im Zeit­al­ter von Syn­de­mien (also dem gleich­zei­ti­gen Auf­tre­ten sich gegen­sei­tig beein­flus­sen­der Krank­heits­ge­sche­hen ver­schie­de­ner Gene­se) sowie die Ver­un­si­che­rung und Abwan­de­rung von RKI-Mit­ar­bei­ten­den, also ein Kom­pe­tenz­ver­lust
  • das Schaf­fen von red­un­dan­ten Struk­tu­ren im Bereich Daten­ma­nage­ment und Kom­mu­ni­ka­ti­on, da die Abgren­zung der Arbeits­be­rei­che der neu­en Behör­de und des RKI fach­lich nicht sinn­voll mög­lich sein wer­den (die nicht evi­denz­ba­sier­te Tren­nung der Arbeits­be­rei­che ent­lang über­trag­ba­rer und nicht-über­trag­ba­rer Krank­hei­ten sowie über­haupt der Fokus auf Patho­ge­ne­se statt Salu­to­ge­ne­se wur­de schon viel­fach von der Fach­com­mu­ni­ty kri­ti­siert)
  • Not­wen­dig­keit hohen zeit­li­chen und finan­zi­el­len invest­ments bis die neue Behör­de über­haupt arbeits­fä­hig wäre, wel­ches auch direkt in die Stär­kung des RKI als natio­na­lem Public Health-Insti­tut gelenkt wer­den könn­te

Eine Bun­des­be­hör­de im Geschäfts­be­reich des Gesund­heits­res­sorts könn­te dann einen Bei­trag zu dem genann­ten Ziel leis­ten, wenn sie umfas­sen­de Geset­zes­fol­gen­ab­schät­zun­gen hin­sicht­lich Gesund­heit (ver­stan­den wie unter a)) und Gesund­heits­ge­rech­tig­keit durch­füh­ren wür­de, die dann im par­la­men­ta­ri­schen Pro­zess ver­pflich­tend berück­sich­tigt wer­den müss­ten oder eine bera­ten­de Funk­ti­on für ande­re Res­sorts bei der Ent­wick­lung von Stra­te­gien oder Geset­zes­vor­ha­ben ein­neh­men könn­te. Auch eine inte­grier­te Gesund­heits­be­richt­erstat­tung, die die wirt­schaft­li­chen, umwelt­be­zo­ge­nen und sozio­kul­tu­rel­len Deter­mi­nan­ten von Gesund­heit mit­ein­be­zieht und die Aus­rich­tung poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen an ent­spre­chen­den Indi­ka­to­ren, die ein moder­nes Ver­ständ­nis von Gesund­heit und Wohl­erge­hen wider­spie­geln, sind sinn­voll. Für die­se Auf­ga­ben braucht es jedoch nicht zwin­gend eine neue Behör­de, son­dern sie kön­nen in bestehen­den Struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen ver­an­kert und gestärkt wer­den.

Detail­lier­te Stel­lung­nah­me zu ein­zel­nen Aus­sa­gen

„Die poli­ti­sche Ver­ein­ba­rung zur Errich­tung eines Bun­des­in­sti­tuts folgt u. a. den Erfah­run­gen aus der COVID-19-Pan­de­mie, dass die behörd­li­chen Struk­tu­ren im Bereich des öffent­li­chen Gesund­heits­we­sens sich bes­ser ver­net­zen müs­sen und ins­ge­samt einer Stär­kung bedür­fen.“ (Sei­te 1)

Stel­lung­nah­me:

Dem ist zuzu­stim­men, aber die Schluss­fol­ge­rung, dass es im ohne­hin stark frag­men­tier­ten Public Health-Sys­tem in Deutsch­land eine wei­te­re, zusätz­li­che Instanz braucht, ist nicht vali­de. Eine (finan­zi­el­le) Stär­kung der bereits bestehen­den, sich über Jah­re gut eta­blier­ten Struk­tu­ren sowie deren Ver­bes­se­rung, wo es not­wen­dig ist, wäre nahe­lie­gen­der.

„Um den Zugang der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger zu gesund­heit­li­chen Infor­ma­tio­nen zu erleich­tern und zu ver­bes­sern, soll das Bun­des­in­sti­tut, neben den umfas­sen­den Infor­ma­tio­nen auf Basis der Gesund­heits­be­richt­erstat­tung des Bun­des, auch ein brei­tes Spek­trum an durch Res­sort- und Ver­sor­gungs­for­schung gene­rier­ten Infor­ma­tio­nen und Erkennt­nis­sen mit Rele­vanz für die Öffent­li­che Gesund­heit im Rah­men sei­ner Zustän­dig­keit zur Ver­fü­gung stel­len.“ (Sei­te 2)

Stel­lung­nah­me:

Die­se Auf­ga­ben­be­schrei­bung spie­gelt den fach­lich nicht trag­fä­hi­gen, aus­schließ­li­chen Fokus auf Auf­klä­rung, Infor­ma­ti­ons­be­reit­stel­lung und gesund­heits­be­zo­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on der neu­en Behör­de wider. Es fehlt eine kla­re Aus­rich­tung auf die Gestal­tung der Lebens­be­din­gun­gen, in denen Men­schen leben, ler­nen, spie­len und arbei­ten.

„Die im Rah­men der Wei­ter­ent­wick­lung der deut­schen Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie der Bun­des­re­gie­rung 2024 erstell­ten Trans­for­ma­ti­ons­be­rich­te erwäh­nen Gesund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on sowie den „Health in All Policies“-Ansatz. Hier besteht die Mög­lich­keit, Syn­er­gien stär­ker zu nut­zen.“ (Sei­te 2)

Stel­lung­nah­me:

Der Ver­weis auf die deut­sche Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie ist sehr zu begrü­ßen, ist sie doch Ergeb­nis eines res­sort­über­grei­fen­den Pro­zes­ses und Grund­la­ge für die Eta­blie­rung der inter­mi­nis­te­ri­el­len Trans­for­ma­ti­ons­teams und die Erstel­lung der Trans­for­ma­ti­ons­be­rich­te – also ein guter Anhalts­punkt dafür, wie eine Rea­li­sie­rung des health-in-all-poli­ci­es-Ansat­zes aus­se­hen könn­te. Es wäre wün­schens­wert, wenn Gesund­heit (ver­stan­den wie unter a) beschrie­ben), nicht mehr als res­sort­ge­bun­de­ne Auf­ga­be des BMG ver­stan­den und gesteu­ert wür­de und Syn­er­gien im Sin­ne von Maß­nah­men mit Co-Bene­fits rea­li­siert wür­den. Dafür braucht es jedoch weni­ger eine neue Behör­de, als inter­mi­nis­te­ri­el­le Aus­tausch­pro­zes­se und eine gesamt­po­li­ti­sche Aus­rich­tung auf Gesund­heit und (öko­lo­gi­sche) Nach­hal­tig­keit.

Schluss­fol­ge­rung:

Die Ein­rich­tung einer neu­en Bun­des­be­hör­de soll­te im Licht des Ziels, die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung zu ver­bes­sern und der ent­spre­chen­den Evi­denz dazu, wie ein moder­nes Gesund­heits­ver­ständ­nis und die ent­spre­chen­de Aus­ge­stal­tung von Gesund­heits­för­de­rung und Prä­ven­ti­on aus­se­hen soll­ten, über­dacht wer­den. Gene­rell muss der health-in-all-poli­ci­es Ansatz weni­ger Lip­pen­be­kennt­nis als poli­ti­sche Rea­li­tät wer­den.

© CPHP, 2024

Alle Rech­te vor­be­hal­ten
Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy
Cuvrystr. 1, 10997 Ber­lin

Das CPHP ist eine unab­hän­gi­ge Denk­fa­brik, die zu Gesund­heits­po­li­tik und glo­ba­len Umwelt­ver­än­de­run­gen arbei­tet.


info@cphp-berlin.de
www.cphp-berlin.de

CPHP-Publi­ka­tio­nen unter­lie­gen einem drei­stu­fi­gen inter­nen Über­prü­fungs­ver­fah­ren und geben die Auf­fas­sung der Autor:innen wie­der.

Schrift­li­che Stel­lung­nah­men zu Geset­zes­ent­wür­fen oder Anträ­gen rei­chen wir ein, wenn das CPHP als Sach­ver­stän­di­ge vom Bun­des­tag oder den Land­ta­gen zu deren Anhö­run­gen ein­ge­la­den wur­de. Die Stel­lung­nah­men spie­geln die Exper­ti­se unse­rer wis­sen­schaft­li­chen Mitarbeiter:innen in Beant­wor­tung der spe­zi­fi­schen Fra­ge­stel­lun­gen der Anhö­run­gen wider.