Dem Klimawandel muss dringend auch gesundheitspolitisch begegnet werden. Die Wissenschaft hat hier bereits geliefert, erst gestern präsentierten Beratergremien der Regierung wieder zwei neue Gutachten. Nun seien die Akteure der Politik und des Gesundheitssystems gefragt, meint Maike Voss, geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy.
Unsere menschliche Gesundheit (und die der Tiere) hängt von einer intakten Natur ab. Dies gilt unmittelbar für die Qualität von Luft, Wasser und Böden. Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürreperioden und Waldbrände werden uns in Deutschland künftig häufiger begegnen. Obwohl die Belastung der Luft mit Schadstoffen in den vergangenen 25 Jahren deutlich abgenommen hat, werden weiterhin Grenzwerte und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation überschritten. 2022 haben Hitzewellen laut Robert Koch Institut (RKI) zu einer Übersterblichkeit von etwa 4500 Menschen geführt.
Hitze betrifft uns alle, aber Bevölkerungsgruppen wie Kinder, Schwangere, Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Menschen, die im Freien arbeiten, sind stärker betroffen. Europaweit gehen bereits etwa 15 Prozent der Todesfälle auf das Konto umweltbedingter Risikofaktoren – Todesfälle, die weitestgehend vermieden werden könnten.
Neue Gutachten von gleich zwei Beratergremien
Auf diese Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit blicken ganz aktuell die neuen Gutachten gleich zwei wissenschaftlicher Räte der Bundesregierung: der national und europäisch arbeitende Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und der auf globale Umwelt- und Entwicklungsthemen ausgerichtete Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU). Gemeinsam stellten beide Gremien am Montagabend ihre Gutachten der Öffentlichkeit vor.
Der WBGU empfiehlt darin nicht weniger als ein fundamentales Umdenken im Umgang mit Gesundheit, hin zu einer Vision „Gesund leben auf einer gesunden Erde“. Nur durch stärkere präventive und gesundheitsfördernde Ansätze im Gesundheitswesen lassen sich die erheblichen Verbesserungen der Gesundheitsversorgung der Vergangenheit auch künftig fortschreiben, so das neunköpfige Expert:innengremium. Der SRU schlägt eine „ökosalute Politik“ vor, die auf eine Umwelt ausgerichtet ist, in der alle gut und gesund leben können. Deutschland brauche Rahmenbedingungen und äußeren Verhältnisse, die gesunde und umweltverträgliche Lebensstile möglich und attraktiver machen. Lebensbereiche wie Ernährung, Bewegung und Wohnen müssten so gestaltet sein, dass Synergien zwischen Gesundheit und Naturschutz besser genutzt werden.
Auch das RKI hat sich mit dem Themenkomplex beschäftigt: Anfang Juni veröffentlichte es den ersten von drei Teilen des Sachstandsberichtes Klimawandel und Gesundheit, verfasst von über 90 Autor:innen aus über 30 Forschungseinrichtungen und Behörden, darunter das Umweltbundesamt, der Deutsche Wetterdienst, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Bundesamt für Naturschutz. Und bereits im Januar legte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklungen im Gesundheitswesen (SVR‑G) ein Gutachten zu „Resilienz im Gesundheitswesen“ vor, das sich unter anderem damit befasst, wie sich das Gesundheitswesen auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten müsste – und wo dies bislang noch unzureichend umgesetzt wird.
Wissen allein reicht nicht aus
Die vier aktuellen Veröffentlichungen beschäftigen sich also mit dem Nexus zwischen Gesundheit, Klimawandel und Umweltveränderungen. Damit liegt erstens so viel Wissen für diesen Themenbereich vor, wie nie zuvor. Und zweitens leiten die Autor:innen Handlungsempfehlungen ab, was jetzt im Gesundheitswesen und darüber hinaus geschehen muss, um umweltbezogenen Gesundheitsschutz, Prävention und Gesundheitsförderung effektiv umzusetzen. Zum Wissensstand gehört aber auch: Wissen allein reicht nicht aus, um aktuellen Herausforderungen zu begegnen und kommende Krisen gesellschaftlich und politisch zu bewältigen.
Das aktuelle Momentum wissenschaftlicher Evidenz sollte darum von politischer Seite auf allen Ebenen strategisch genutzt werden. Jetzt ist der Zeitpunkt, sowohl eine gesellschaftliche Debatte zu führen, als auch im Gesundheitswesen selbst: Wie können Evidenz und Empfehlungen aufgenommen und umgesetzt werden? Welche Strukturveränderungen sind dafür kurz‑, mittel- und langfristig erforderlich?
Was es jetzt braucht, ist eine Mischung aus langfristiger Perspektive und kurzfristig wirksamen Maßnahmen. Es sollte eine „Dringlichkeitsgovernance“ – wie vom WBGU vorgeschlagen – im Gesundheitswesen entwickelt werden, die es diesem ermöglicht, vor, während und nach negativen Ereignissen, wie beispielsweise Hitzewellen und kommenden Pandemien flexibel zu agieren, zwischen Krisen, Prävention und Gesundheitsförderung und damit die Resilienz zu stärken. Im besten Fall werden so weitere Gesundheitskrisen vermieden, zumindest aber besser bewältigt.
Wie bekommt man den Druck aus dem System?
Eine neue Zielausrichtung für das Gesundheitswesen ist unbedingt geboten, um mittel- und langfristig Druck aus dem System zu nehmen und gleichzeitig Treibhausgasemissionen zu minimieren und die Umwelt zu schonen:
- Erstens muss die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen reduziert werden – durch Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention, die die Sozial‑, Arbeitsmarkt‑, Stadtplanungs‑, Umwelt- und Klimapolitik miteinander verbinden. Wenn weniger Menschen behandelt werden müssen, wird das Gesundheitswesen entlastet, und gleichzeitig verkleinert sich sein ökologischer Fußabdruck. Aktuell gibt es jedoch zu wenig Verhältnisprävention im Gesundheitssystem im Sinne struktureller Veränderungen und Umgestaltung der Lebens(um)welten. Der geplante Nationale Präventionsplan der aktuellen Bundesregierung ist hierfür eine Chance, die erforderliche Dringlichkeitsgovernance zu entwickeln und verhältnispräventive Maßnahmen auf den Weg zu bringen.
- Zweitens muss es das Ziel sein, dass sich Angebot und Nachfragenach Gesundheitsdienstleistungen decken: Werden Über‑, Fehl- und Unterversorgung im Gesundheitswesen minimiert, reduzieren wir damit auch Emissionen und steigern die Versorgungsqualität. Auch aus Umwelt- und Klimaperspektive braucht es daher eine stärkere Perspektive auf Bedarfe in der Gesundheitsversorgung.
- Und drittens muss der ökologische Fußabdruck für alle Gesundheitsdienstleistungen und ‑produkte bilanziert und reduziert werden. Dazu gehören auch Arzneimittel, Medizintechnik und Heil- und Hilfsmittel, Wärme‑, Energie- und Kühlungssysteme in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, Gemeinschaftsverpflegung, fossil-betriebene Krankentransport und auch digitale Gesundheitsleistungen.
Gesund leben auf einer gesunden Erde
Wir alle haben ein Recht auf Lebensverhältnisse, die Gesundheit und Wohlergehen in einer sauberen Umwelt ermöglichen. Ob es gelingt, Menschen in Deutschland (und weltweit) ein solches Leben zu ermöglichen, liegt schlussendlich an politischen Entscheidungen im und für das Gesundheitswesen – aber auch an Entscheidungen, die außerhalb des Gesundheitswesens und der Umweltpolitik getroffen werden.
Mehrgewinne für Gesundheit und Umweltschutz lassen sich durch umwelt- und klimasensible Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen erreichen, wie beispielsweise durch eine pflanzenbasierte Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung, aktive, muskelbasierte Mobilität, menschengerechte Stadtplanung und vor allem durch den Ausbau erneuerbarer Energien.
Für Entscheidungstragende und Akteure im Gesundheitswesen sind die neu vorgelegten Veröffentlichungen die Chance, in Debatten rund um die notwendige Umgestaltung in den Bereichen Energie, Mobilität und Ernährung ihre eigene Rolle zu bestimmen und aktiv zu werden. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung lässt zwar wenig Raum, aber dennoch genug, um diese Zusammenhänge in derzeit laufende Prozesse mit einzubeziehen: die aktuelle Krankenhausreform, der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz zu Klimawandel und Gesundheit, der Nationale Präventionsplan und ein neues Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit.
Die Wissenschaft hat geliefert, nun sollte gehandelt werden
Im Juli treffen sich die Umwelt- und Gesundheitsminister unter dem Schirm des Regionalbüros Weltgesundheitsorganisation für Europa. Hier ist zu erwarten, dass für Deutschland der internationale Druck für ein Regierungsprogramm zu Umwelt und Gesundheit steigt.
Die Wissenschaft hat geliefert. Das RKI wird zeitnah noch zwei weitere Teile des Sachstandsberichtes Klimawandel und Gesundheit präsentieren. Es liegt nun also an uns Akteuren im Gesundheitswesen, die Themen auf der Agenda zu halten, die vorliegenden Empfehlungen zu diskutieren und mit Blick auf die Dringlichkeit umzusetzen – und auf diese Weise Akzeptanz für Klima- und Umweltschutz im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft nach vorne zu bringen.
Maike Voss ist geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy (CPHP), einem außeruniversitären Thinktank für wissenschaftliche Politikberatung an der Schnittstelle zwischen globalen Umweltveränderungen und Gesundheit.