Sau­be­re Luft: “Aktua­li­sier­te EU-Richt­li­nie wür­de Gesund­heit schüt­zen, Leben ret­ten und wäre für Deutsch­land gut zu meis­tern”

Doro­thea Baltruks ist wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin beim Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy (CPHP) in Ber­lin und arbei­tet zum The­ma Zukunft des deut­schen Gesund­heits­we­sens. Bevor sie zum CPHP kam, arbei­te­te sie als per­sön­li­che Refe­ren­tin für die gesund­heits­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Grü­nen im Baye­ri­schen Land­tag. Zuvor hat­te sie nach ihrem Stu­di­um in Lon­don zunächst für eine bri­ti­sche Bera­tungs­fir­ma im Bereich Gesund­heit gear­bei­tet und dann das Res­sort „Alter und Pfle­ge“ beim Euro­pean Social Net­work gelei­tet. In den letz­ten vier Jah­ren im Ver­ei­nig­ten König­reich lei­te­te sie die Arbeits­fel­der For­schungs­po­li­tik, Inter­na­tio­na­les und Daten­ana­ly­se des Coun­cil of Deans of Health, wel­ches die Gesund­heits­fa­kul­tä­ten der Uni­ver­si­tä­ten im Ver­ei­nig­ten König­reich ver­tritt.

Heu­te hat das EU-Par­la­ment einer Anpas­sung der Luft­qua­li­täts­richt­li­nie zuge­stimmt, die stren­ge­re Grenz­wer­te zum bes­se­ren Schutz der Gesund­heit vor­sieht. In einem gemein­sa­men Pro­jekt mit dem Clean Air Fund ana­ly­siert unse­re wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin Doro­thea Baltruks die Rol­le Deutsch­lands in den Ver­hand­lun­gen der Richt­li­nie. Über das Pro­jekt und war­um die­ses Geset­zes­vor­ha­ben aus Pla­ne­ta­ry Health-Sicht wich­tig ist, spricht sie im Inter­view.

Bei Luft­ver­schmut­zung den­ken wir an stin­ken­de Aus­puff­ga­se und rau­chen­de Indus­trie­schlo­te. Wie groß ist das Pro­blem wirk­lich?

Baltruks — Bei Luft­ver­schmut­zung geht es vor allem um Fein­staub, Stick­stoff­di­oxid und Ozon. Tat­säch­lich ist Luft­ver­schmut­zung nach wie vor das größ­te umwelt­be­zo­ge­ne Gesund­heits­pro­blem welt­weit, auch in Euro­pa und in Deutsch­land. In Deutsch­land ster­ben laut der Euro­päi­schen Umwelt­agen­tur jedes Jahr etwa 66000 Men­schen an den Fol­gen von Luft­ver­schmut­zung. Mit Blick auf die Wirt­schaft erge­ben sich hier­durch in der Fol­ge ein Scha­den von etwa 3,5% des euro­päi­schen Brut­to­in­lands­pro­duk­tes.

Mit ande­ren Wor­ten: das Pro­blem ist nach wie vor wirk­lich sehr groß. 

Baltruks — Ja, aber man muss sagen, dass sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten schon viel ver­bes­sert hat. Wir erin­nern uns sicher­lich alle an Bil­der der Smog-Kata­stro­phe 1952 in Lon­don, die Tau­sen­de das Leben kos­te­te. Die Zei­ten, in denen es in den Städ­ten vie­le, sehr schmut­zi­ge Indus­trie­an­la­gen gab, sind vor­bei. Auf der ande­ren Sei­te muss man sagen, dass sich das Pro­blem teil­wei­se ganz ein­fach ver­la­gert hat, näm­lich in die Län­der, wo die­se Indus­trie­an­la­gen jetzt ste­hen, wie in Indi­en oder Chi­na. Dort ist die Fein­staub­be­las­tung ent­spre­chend extrem hoch, wor­un­ter viel mehr Men­schen lei­den als bei uns.

Inner­halb von Deutsch­land und Euro­pa hat sich das Pro­blem eben­falls ver­la­gert, denn heu­te ist der mas­siv gewach­se­ne Ver­kehrs­sek­tor einer der Haupt­ver­ur­sa­cher von Luft­ver­schmut­zung. Das sind in der Tat Aus­puff­ga­se, aber auch Rei­fen­ab­rieb. Und die Indus­trie trägt natür­lich wei­ter­hin ihren Teil zur Fein­staub­be­las­tung bei, vor allem durch die Ver­bren­nung von fos­si­len Brenn­stof­fen, aber auch in der che­mi­schen Indus­trie. Wir haben ja auch noch immer Koh­le­kraft­wer­ke in Deutsch­land. Das ist für die Luft­qua­li­tät ein gro­ßes Pro­blem. Ein wei­te­rer Aspekt, der stark zur Luft­ver­schmut­zung bei­trägt, ist Holz­ver­bren­nung. Sowohl der Holz­ofen, den man im Haus hat, als auch indus­tri­el­le Holz­ver­bren­nung sowie Wald­brän­de, die im Zuge der Kli­ma­kri­se ten­den­zi­ell zuneh­men, tra­gen erheb­lich zur Fein­staub­be­las­tung bei.

Wie wirkt sich Fein­staub auf unse­re Gesund­heit aus?

Baltruks — Die bereits erwähn­ten Todes­zah­len sind nur die Spit­ze des Eis­bergs. Luft­ver­schmut­zung betrifft tat­säch­lich den gesam­ten Kör­per. Kleins­te Fein­staub­par­ti­kel kön­nen bis in das Lun­gen­ge­we­be und den Blut­kreis­lauf gelan­gen und sich damit auf sämt­li­che Orga­ne aus­wir­ken. Das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem ist durch Ent­zün­dun­gen in Gefä­ßen bis hin zur „Arte­ri­en­ver­kal­kung“ betrof­fen, was Schlag­an­fäl­le, die koro­na­re Herz­er­kran­kung, Herz­in­fark­te und Blut­hoch­druck begüns­ti­gen kann. Luft­ver­schmut­zung ist laut wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en auch ein Risi­ko­fak­tor für ande­re Volks­krank­hei­ten wie COPD, Dia­be­tes, Demenz, Depres­sio­nen oder Angst­stö­run­gen. Vor allem für Babys und Kin­der ist Luft­ver­schmut­zung sehr gefähr­lich, kann ihr Lun­gen­wachs­tum und die neu­ro­na­le Ent­wick­lung beein­träch­ti­gen sowie Lun­gen­ent­zün­dun­gen und Asth­ma ver­ur­sa­chen.

Wer sind die größ­ten Ver­ur­sa­cher von Luft­ver­schmut­zung?

Baltruks — Grund­sätz­lich ent­steht da am meis­ten Luft­ver­schmut­zung, wo fos­si­le Brenn­stof­fe ver­brannt wer­den. Vor allem sind die Regio­nen betrof­fen, wo Koh­le, Öl, Gas und Holz ver­brannt wird, aber die Fein­staub­par­ti­kel gelan­gen auch in die Atmo­sphä­re. Es gibt also einen star­ken Zusam­men­hang zwi­schen den Ursa­chen der Kli­ma­kri­se und Luft­ver­schmut­zung. Dazu kommt der gesam­te Ver­kehr, über­all wo Ben­zin oder Kero­sin ver­brannt wer­den: Die Air­lines haben eine gro­ße Ver­ant­wor­tung, der Pkw- und Lkw- sowie der Schiffs­ver­kehr — über­all dort wer­den sehr vie­le Luft­schad­stof­fe erzeugt.

Wür­de eine Elek­tri­fi­zie­rung des Ver­kehrs das Pro­blem abmil­dern?

Baltruks — Abmil­dern ja, aber trotz­dem wür­de man die Luft­ver­schmut­zung nicht gänz­lich los­wer­den, weil ein nicht uner­heb­li­cher Teil der Fein­staub­be­las­tung durch den Rei­fen­ab­rieb, zum Bei­spiel beim Brem­sen ent­steht. Und hier kommt es vor allen Din­gen auf die Grö­ße des Fahr­zeugs an. Je grö­ßer das Auto oder der LKW, des­to mehr Rei­fen­ab­rieb wird erzeugt, gelangt in die Luft und ver­ur­sacht klei­ne Par­ti­kel, die wir dann ein­at­men.

Die WHO hat ihre Leit­li­ni­en für Luft­qua­li­tät 2021 erneu­ert. In der EU gel­ten ein­heit­li­che Wer­te zur Beur­tei­lung der Luft­qua­li­tät, die eben­falls aktua­li­siert wer­den sol­len und der­zeit dis­ku­tiert wer­den. Wer dis­ku­tiert da und wor­um geht es da genau?

Baltruks — In den letz­ten Jahr­zehn­ten ist sehr viel zu Luft­qua­li­tät geforscht wor­den und wir haben vie­le neue Erkennt­nis­se, die die WHO in ihre neu­en Emp­feh­lun­gen ein­ge­ar­bei­tet hat. Im Prin­zip sagt die WHO, dass es, aus Gesund­heits­per­spek­ti­ve betrach­tet, kein siche­res Maß an Luft­ver­schmut­zung gibt. Aber die­se neu­en Emp­feh­lun­gen zie­len dar­auf ab, die gesund­heit­li­chen Fol­gen von Luft­ver­schmut­zung deut­lich zu redu­zie­ren.
Die EU-Kom­mis­si­on hat letz­tes Jahr einen Vor­schlag gemacht, wie die Richt­li­nie, die die Grenz­wer­te für Fein­staub und Stick­stoff­di­oxid EU-weit regelt, schritt­wei­se an die WHO-Emp­feh­lun­gen ange­passt wer­den könn­ten. Das EU-Par­la­ment hat über den Vor­schlag sehr kon­tro­vers dis­ku­tiert und im Umwelt­aus­schuss zuge­stimmt. Dann liegt das Vor­ha­ben beim Euro­päi­sche Rat, in dem die Regierungsvertreter:innen der Mit­glied­staa­ten abstim­men.

Inhalt­lich geht es dar­um, wel­che Impli­ka­tio­nen das hät­te: deut­li­che posi­ti­ve Effek­te für die Gesund­heit und Redu­zie­rung volks­wirt­schaft­li­cher Kos­ten durch bes­se­re Luft­qua­li­tät ver­sus Aus­wir­kun­gen auf die Indus­trie, also wirt­schaft­li­che Kos­ten, ins­be­son­de­re in den Berei­chen Ener­gie, Ver­kehr und Land­wirt­schaft.

Wel­che Rol­le spielt Deutsch­land hier­bei?

Baltruks — Deutsch­land spielt bei den Ver­hand­lun­gen auf EU-Ebe­ne eine sehr wich­ti­ge Rol­le. Zum einen hat Deutsch­land als größ­ter Mit­glied­staat ein gro­ßes poli­ti­sches und wirt­schaft­li­ches Gewicht und spielt oft auch eine gewis­se Ver­hand­lungs­rol­le. Wenn es also um Indus­trie­sek­to­ren geht, die von schär­fe­ren Luft­qua­li­täts­richt­li­ni­en betrof­fen sind, dann ist es für die ande­ren Staa­ten sehr wich­tig zu wis­sen, was Deutsch­land sagt.

Mit Blick auf die neue Luft­qua­li­täts­richt­li­nie hat sich die Bun­des­re­gie­rung noch nicht klar posi­tio­niert. Grund­sätz­lich unter­stützt sie laut Koali­ti­ons­ver­trag die Novel­lie­rung der Luft­qua­li­täts­richt­li­nie und erkennt die Wich­tig­keit der neu­en WHO-Emp­feh­lun­gen für die Gesund­heit an. Ande­rer­seits hört man immer wie­der vom Abwie­gen zwi­schen den Vor­tei­len für Gesund­heit und Kos­ten für die Wirt­schaft oder Ein­zel­per­so­nen.

Unse­rer Mei­nung nach soll­te und könn­te Deutsch­land eine füh­ren­de Rol­le ein­neh­men, denn wir haben bereits einen sehr guten Weg hin­ter uns. In den letz­ten Jahr­zehn­ten haben wir zahl­rei­che Maß­nah­men umge­setzt und damit unse­re Luft­qua­li­tät deut­lich ver­bes­sert. Ins­ge­samt bli­cken wir also bereits auf eine Erfolgs­ge­schich­te — gera­de auch ver­gli­chen mit eini­gen ande­ren EU-Staa­ten, die vie­le der Schrit­te noch vor sich haben, die wir schon gegan­gen sind. Soll­ten die Vor­schlä­ge der EU-Kom­mis­si­on also durch­kom­men, wäre das für Deutsch­land wirk­lich kein über­for­dern­des Regu­la­ri­um. Deutsch­land wür­de die meis­ten die­ser neu­en Richt­wer­te rela­tiv leicht in den nächs­ten sie­ben Jah­ren errei­chen kön­nen. Mit ande­ren Wor­ten: Die Anstren­gun­gen wür­den sich für uns und auch für die Wirt­schaft sehr in Gren­zen hal­ten, da wür­den die Gewin­ne für unse­re Gesund­heit klar über­wie­gen.

Was soll­te jetzt in Deutsch­land gesche­hen?

Baltruks — Wich­tig ist, dass wir die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on und die Gesund­heits­ge­win­ne, auch durch bes­se­re Luft­qua­li­tät, bes­ser zusam­men den­ken und zusam­men­füh­ren und die Akteur:innen eng ver­net­zen, die an die­sen bei­den Schnitt­stel­len arbei­ten. In Deutsch­land beschäf­ti­gen sich vor allen Din­gen Umweltpolitiker:innen und Gesund­heits­fach­leu­te mit Luft­ver­schmut­zung, in der Regel aber getrennt von ein­an­der. Genau die­se bes­se­re Ver­net­zung von ver­schie­de­nen Akteur:innen aus Poli­tik, Zivil­ge­sell­schaft, Gesund­heits­we­sen und Wis­sen­schaft wol­len wir mit unse­rem Pro­jekt mit dem Clean Air Fund errei­chen.

Obwohl die Evi­denz zur Bedeu­tung von Luft­qua­li­tät für Gesund­heit wächst, kommt das The­ma in Deutsch­land bis­lang mei­ner Ansicht nach zu kurz. Die mög­li­chen Gesund­heits­ge­win­ne für jede:n Einzelne:n, das Gesund­heits­sys­tem und die Gesell­schaft als Gan­zes soll­ten unse­rer Mei­nung nach mehr in den Vor­der­grund rücken. Gleich­zei­tig hat die Bekämp­fung von Luft­ver­schmut­zung auch gro­ße Über­schnei­dun­gen mit Kli­ma- und Umwelt­schutz. Dies zusam­men­zu­brin­gen, auch im Sin­ne des Pla­ne­ta­ry Health Gedan­ken, den wir beim CPHP immer nach vor­ne stel­len, ist eine sehr gro­ße Chan­ce.

Das Inter­view führ­te Mai­ke Bild­hau­er. Mit­ar­beit: Lil­li Blank.  

Durch die­ses und wei­te­re Inter­views mit unse­ren Wissenschaftler:innen wol­len wir aktu­el­le Debat­ten rund um pla­ne­ta­re Gesund­heit auf­grei­fen und über unse­re Arbeit und Schwer­punk­te infor­mie­ren.

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