„Bio­lo­gi­sche Viel­falt ist unse­re Lebens­grund­la­ge“

Die Zer­stö­rung der bio­lo­gi­schen Viel­falt gehört zu den gro­ßen glo­ba­len Kri­sen und ist eng mit Umwelt­ver­schmut­zung und Kli­ma­wan­del ver­wo­ben. Am 21. Okto­ber star­tet in Cali, Kolum­bi­en, die UN-Kon­fe­renz COP16 zu Bio­di­ver­si­tät. Erwar­tet wer­den Dele­ga­tio­nen aus 196 Län­dern, ein­schließ­lich 100 Minister:innen und 12 Staats­ober­häup­ter. Was dort auf der Agen­da steht, wel­che Kon­tro­ver­sen es zu über­win­den gilt und wel­che Rol­le Deutsch­land hier spielt, dar­über haben wir mit Dr. Kim Grütz­ma­cher gespro­chen, die Mit­glied in unse­rem wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat ist.

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Kim, bevor wir auf die COP16 bli­cken: Bio­lo­gi­sche Viel­falt – was ist das über­haupt?

Dr. Kim Grütz­ma­cher — Bio­lo­gi­sche Viel­falt umfasst die Viel­falt des Lebens auf unse­rem Pla­ne­ten: die Viel­falt der Arten, der Gene und der Öko­sys­te­me. Eher kon­ser­va­ti­ve Schät­zun­gen gehen von etwa acht bis zehn Mil­lio­nen Arten aus. Bereits beschrie­ben sind heu­te aber weni­ger als zwei Mil­lio­nen. Wir ken­nen also den Groß­teil noch gar nicht.

Und wie steht es um die Bio­di­ver­si­tät welt­weit?

Der Welt­bio­di­ver­si­täts­rat (IPBES) schätzt in sei­nem glo­ba­len Gut­ach­ten von 2019, dass etwa eine Mil­lio­nen Tier- und Pflan­zen­ar­ten vom Aus­ster­ben bedroht sind. Die Ver­lust­ra­te ist um das zehn- bis meh­re­re 100-fache erhöht, ver­gli­chen mit dem Durch­schnitt der letz­ten zehn Mil­lio­nen Jah­re. Ten­denz stei­gend. Aber Arten ster­ben nicht nur aus. Auch bis­lang noch nicht bedroh­te wer­den immer weni­ger, Popu­la­tio­nen und Öko­sys­te­me wer­den degra­diert und zer­stört. Ein Blick auf die Bio­mas­se der Säu­ge­tie­re zeigt deut­lich, wie stark der Mensch das Leben auf dem Pla­ne­ten domi­niert: Wir Men­schen machen hier 34 Pro­zent aus, unse­re Nutz­tie­re 62 Pro­zent und wil­de Säu­ge­tie­re nur noch 4 Pro­zent. Das ist erschre­ckend.

Was hat Arten­viel­falt mit uns Men­schen und unse­rer Gesund­heit zu tun?

Sehr viel. Wir sind ein Teil der bio­lo­gi­schen Viel­falt und mit ihr ver­wo­ben, wir kön­nen ohne sie nicht leben. Sie ist sowohl in Form des Mikro­bi­oms in uns als auch um uns her­um. Nahe­zu alles, was wir essen, stammt von ande­ren Lebens­for­men, also von Tie­ren, Pflan­zen und Pil­zen. Bio­lo­gi­sche Viel­falt sorgt für sau­be­res Was­ser und sau­be­re Luft. Vie­le unse­rer Arz­nei­en wären ohne bio­lo­gi­sche Viel­falt nicht denk­bar, wie bei­spiels­wei­se Peni­cil­lin oder der Wirk­stoff von Aspi­rin, und sie beinhal­tet noch vie­le wei­te­re Wirk­stof­fe und Mecha­nis­men für bio­me­di­zi­ni­sche und ande­re Ent­de­ckun­gen. Zeit in der Natur ist wich­tig für unse­re men­ta­le Gesund­heit und unser Wohl­be­fin­den, baut Stress ab, senkt den Blut­druck und redu­ziert Depres­sio­nen. Zudem kön­nen Öko­sys­te­me Mikro­or­ga­nis­men wie Viren in Schach hal­ten, die schwe­re Krank­hei­ten ver­ur­sa­chen und auch Pan­de­mien aus­lö­sen kön­nen.

Schon auf dem Erd­gip­fel 1992 in Rio de Janei­ro wur­de die Bio­di­ver­si­täts­kon­ven­ti­on ver­ab­schie­det. Was hat es damit auf sich?

Die Bio­di­ver­si­täts­kon­ven­ti­on ver­folgt grund­sätz­lich drei Zie­le. Ers­tens den Erhalt der bio­lo­gi­schen Viel­falt, also Öko­sys­te­me, Arten und gene­ti­sche Viel­falt inner­halb der Arten. Zwei­tens ihre nach­hal­ti­ge Nut­zung und drit­tens die gerech­te Auf­tei­lung der Gewin­ne, die aus der Nut­zung gene­ti­scher Res­sour­cen ent­ste­hen. Bei den COPs wer­den das Was, das Wie und das Wer ver­han­delt.

Wel­che The­men wer­den auf der COP16 in Cali beson­ders im Fokus ste­hen?

Ein zen­tra­les The­ma wird die Umset­zung des Kun­ming-Mont­re­al Glo­bal Bio­di­ver­si­ty Frame­works (GBF) sein, das 2022 ver­ab­schie­det wur­de. Wie sind wir hier vor­an­ge­kom­men? Auf der Agen­da ste­hen die­ses Jahr außer­dem die Stär­kung der Rech­te indi­ge­ner Bevöl­ke­rungs­grup­pen und loka­ler Gemein­schaf­ten sowie die Wech­sel­wir­kun­gen mit der Kli­ma­kri­se. In Cali gibt es außer­dem erst­mals einen Gesund­heits­tag.

Mit Blick auf die Umset­zung des GBF, was ist dir dabei beson­ders wich­tig?

Das GBF hat die ehr­gei­zi­ge Mis­si­on den Ver­lust der bio­lo­gi­schen Viel­falt bis 2030 zu stop­pen und umzu­keh­ren. Es beinhal­tet 23 Hand­lungs­zie­le, an die nun die natio­na­len Bio­di­ver­si­täts­stra­te­gien und ‑akti­ons­plä­ne ange­passt wer­den müs­sen. Bei der anste­hen­den COP16 wird auch der Glo­ba­le Akti­ons­plan für Bio­di­ver­si­tät und Gesund­heit ver­han­delt. Er stellt die Bezü­ge der GBF-Zie­le zu Gesund­heit her und kann hand­lungs­lei­tend für die Zukunft sein, ins­be­son­de­re für eine bes­ser ver­knüpf­te poli­ti­sche Steue­rung und Umset­zung von gemein­sa­men Bio­di­ver­si­täts- und Gesund­heits­zie­len und Syn­er­gien. Wich­tig ist hier, dass die Ver­bin­dung von Bio­di­ver­si­tät und Gesund­heit in alle Sek­to­ren und poli­ti­schen sowie gesell­schaft­li­chen Hand­lungs­fel­der inte­griert wird.

Wor­an hapert die Umset­zung des GBF bis­lang?

Das ist eine gro­ße und wich­ti­ge Fra­ge. Zusam­men­ge­fasst den­ke ich, es hapert an man­geln­der Auf­merk­sam­keit, teil­wei­se durch feh­len­des Ver­ständ­nis und hohe Kom­ple­xi­tät. Aber auch an bestehen­den Macht­ver­hält­nis­sen, star­ken ent­ge­gen­ste­hen­den Lob­by­in­ter­es­sen, tra­gi­scher Kon­kur­renz um Auf­merk­sam­keit mit ande­ren Kri­sen, auch der Kli­ma­kri­se. Aber letzt­lich liegt es auch an einer Ent­frem­dung von der Natur und der Tra­gö­die des All­ge­mein­guts.

Die Bun­des­re­gie­rung wird in Kolum­bi­en von einer Dele­ga­ti­on unter Füh­rung des Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­ums ver­tre­ten. Wel­che Rol­le spielt Deutsch­land in Sachen Bio­di­ver­si­tät auf inter­na­tio­na­lem Par­kett?

© Boris Smo­kro­vic / Uns­plash

Deutsch­land ist ange­se­hen für sei­ne Inves­ti­tio­nen in den inter­na­tio­na­len Schutz der bio­lo­gi­schen Viel­falt. Die soge­nann­ten ‚Mer­kel Mil­lio­nen‘ – eine Zusa­ge von min­des­tens 500 Mil­lio­nen Euro pro Jahr – ist welt­weit die höchs­te finan­zi­el­le Zusa­ge in die­sem Bereich. Von 2017 bis 2021 lagen die deut­schen Bei­trä­ge im Durch­schnitt bei rund 750 Mil­lio­nen Euro. 2022 kün­dig­te Bun­des­kanz­ler Scholz an, die Finan­zie­rung bis 2025 auf 1,5 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich zu stei­gern – als Inves­ti­ti­on in die Zukunft. Das war ein star­kes und wich­ti­ges Signal. Ob sich die­ses Ver­spre­chen aller­dings ange­sichts der Haus­halts­kür­zun­gen hal­ten lässt, wage ich zu bezwei­feln. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren war die Bun­des­re­gie­rung immer durch sehr gute und erfah­re­ne Verhandler:innen ver­tre­ten und ich gehe davon aus, dass das auch in Cali wie­der so sein wird. Und ich hof­fe sehr, dass Umwelt­mi­nis­te­rin Stef­fi Lem­ke mit ihrer Teil­nah­me wie­der ein Signal set­zen wird.

Was den Bio­di­ver­si­täts­schutz in Deutsch­land und Deutsch­lands Rol­le in der EU angeht, sind wir lei­der nicht so vor­bild­lich. Hier wer­den nach wie vor häu­fig Dicho­to­mien zwi­schen den Inter­es­sen der Land­wirt­schaft, dem Kli­ma­schutz und dem Schutz der Bio­di­ver­si­tät auf­ge­macht, statt auf Syn­er­gien zu set­zen. Um hier natio­nal wei­ter vor­an­zu­kom­men, hof­fe ich unter ande­rem auf die bal­di­ge Ver­ab­schie­dung der Natio­na­len Bio­di­ver­si­täts­stra­te­gie 2030.

Oft scheint die Zer­stö­rung der Arten­viel­falt in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung und auf der poli­ti­schen Agen­da hin­ter der Kli­ma­kri­se zu ver­schwin­den.  

Kli­ma- und die Bio­di­ver­si­täts­kri­se hän­gen eng mit­ein­an­der zusam­men und ver­stär­ken sich gegen­sei­tig. Pflan­zen und Wild­tie­re kön­nen CO2 bin­den und sind zudem inte­gra­ler Bestand­teil von Öko­sys­te­men wie Wäl­der und Koral­len­rif­fe, die CO2 spei­chern. Sie sind aber auch zen­tral, um uns Men­schen vor den Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­kri­se zu schüt­zen. Vie­le Öko­sys­te­me kön­nen vor Natur­ka­ta­stro­phen schüt­zen. Sie schaf­fen und erhal­ten ein güns­ti­ges Mikro­kli­ma und kön­nen bei­spiels­wei­se für Abküh­lung bei Hit­ze sor­gen. Sie sind aber auch essen­zi­ell für unse­re Ernäh­rungs­si­cher­heit. Dabei den­ke ich nicht nur an Bestäu­ber. Wir brau­chen auch gesun­de Böden mit viel­fäl­ti­gen Orga­nis­men, um aus­rei­chend nähr­stoff­rei­che Nah­rung für alle Men­schen pro­du­zie­ren zu kön­nen, aber auch um Was­ser in den Böden zu hal­ten. Das ist ange­sichts zuneh­men­der Hit­ze­wel­len, Stark­re­gen und Dür­re beson­ders wich­tig. In der Ark­tis bei­spiels­wei­se tra­gen Ren­tie­re dazu bei, die Aus­brei­tung von Pflan­zen in Schach zu hal­ten, die wie­der­um die Son­nen­en­er­gie auf­neh­men, anstatt sie wie Schnee und Eis zurück­zu­wer­fen – so wird die Auf­hei­zung der Ark­tis dank der Ren­tie­re abge­mil­dert. Um die Kli­ma­kri­se zu bewäl­ti­gen, müs­sen fos­si­le Brenn­stof­fe im Boden blei­ben. Die Natur kann über Bin­dung von CO2 zusätz­lich ein Drit­tel zur Lösung bei­tra­gen.

Das Inter­view führ­te Mai­ke Bild­hau­er.

Mit die­sem und wei­te­ren Inter­views mit unse­ren CPHP- und exter­nen Wissenschaftler:innen möch­ten wir aktu­el­le Debat­ten rund um pla­ne­ta­re Gesund­heit auf­grei­fen und über unse­re Arbeit und Schwer­punk­te infor­mie­ren.

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