Das Centre for Planetary Health Policy (CPHP) bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauen sowie den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
Vorbemerkung
Das CPHP erstellte zum 01.03.2024 eine Expertise zu Gesundheit und Geschlecht in der ökologischen Transformation/im Klimawandel mit dem Fokus auf die Situation in Deutschland für den Vierten Gleichstellungsbericht des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ). Diese Expertise wird vom BMFSFJ zu gegebenem Zeitpunkt veröffentlicht, kann zum jetzigen Zeitpunkt von uns aber nicht geteilt werden. Die umfangreiche Literaturrecherche, die für die Erstellung der Expertise durchgeführt wurde, dient jedoch als Grundlage für die Einschätzungen in dieser Stellungnahme.
Einschätzungen zum vorliegenden Antrag
Wie in der Ausgangslage dargestellt, spielt die Geschlechterdimension in der gesundheitsbezogenen Klimaanpassung eine wichtige Rolle, ist aber in vielen Detailpunkten in Deutschland noch kaum erforscht. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen sind daher sinnvoll, um die Menschen in NRW besser und zielgerichteter vor den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu schützen.
Stärkung der wissenschaftlichen Evidenzgrundlage
Forschungsbedarf gibt es in Deutschland insbesondere in Bezug auf die Differenzierung von Faktoren, die zu Geschlechterunterschieden in klimarelevanten Gesundheitsoutcomes führen. Viele Studien und Berichte schildern lediglich beobachtete Geschlechterunterschiede, analysieren aber nicht oder kaum, welche Ursachen für diese Unterschiede durch Faktoren der Sozialisation zu erklären sind.
Das Forschungsnetzwerk Geschlecht – Umwelt – Gesundheit (GeUmGeNET) beschrieb in seinen 2018 veröffentlichten Ergebnissen einer Untersuchung des Forschungsstandes zur Integration von Geschlechteraspekten in die biomedizinische / gesundheitswissenschaftliche Forschung zu umweltbezogener Gesundheit u.a. folgende Forschungslücken:1
- die Forschung zu umweltbezogener Gesundheit integriert Genderkonzepte nicht systematisch und entsprechende Methoden fehlen weitestgehend
- die Begriffe “Sex” und “Gender” werden nicht adäquat und konsistent mit Bezug auf die entsprechenden zugrundeliegenden theoretischen Konzepte verwendet
- Geschlecht wird weder für die Datenerhebung noch im Rahmen der Ergebnisinterpretation gemeinhin nicht als multidimensional, über die Zeit möglicherweise variierend und mit anderen Aspekten sozialer Identität wechselseitig interagierend operationalisiert
- Geschlecht wird in der statistischen Auswertung häufig als Störgröße (Confounder) operationalisiert; entsprechend wird für Geschlecht meistens kontrolliert und Ergebnisse seltener nach Geschlecht stratifiziert
Bei vielen gesundheitlichen Auswirkungen von Klima- oder Umweltveränderungen können also statistische Geschlechterunterschiede beobachtet werden, ohne dass bislang ausreichend erforscht ist, ob diese auf biologische Unterschiede, durch die Sozialisierung geprägte Verhaltensunterschiede oder ökonomische Lebensumstände zurückzuführen sind. Diese Erkenntnisse sind als Grundlage für Maßnahmen und deren Evaluierung bedeutend.
Intersektionalität besser erforschen und in Maßnahmen berücksichtigen
Auch die intersektionale Perspektive wird nur vereinzelt berücksichtigt, dabei ist gerade das Zusammenspiel zwischen Geschlecht und anderen personenbezogenen Dimensionen, die Gesundheit und Resilienz beeinflussen, hochrelevant. Vor allem sozioökonomische Faktoren, die von Diskriminierung und Benachteiligung beeinflusst werden können, haben einen großen Einfluss auf den Gesundheitszustand im Allgemeinen und die gesundheitlichen Risikofaktoren, die z.B. in Extremwettersituationen eine Rolle spielen. Frauen mit Rassismuserfahrungen, Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, prekären Wohn- oder Arbeitsverhältnissen, Arbeitslosigkeit, gewaltvollen Beziehungen oder die alleinerziehend sind, sind von Armut und Gesundheitsrisiken stärker gefährdet. Doch es fehlt im deutschen Kontext noch weitgehend an robusten Daten zur Auswirkung dieser Faktoren im Kontext von Klimawandelfolgen und anderen Umweltveränderungen.
So wird z.B. in der Deutschen Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen erwähnt, dass insbesondere die Wirkung intersektionaler Beeinträchtigungen berücksichtigt werden müsse. In Bezug auf den Katastrophenschutz heißt es: “Dabei können einzelne Bevölkerungsgruppen (d. h. beispielsweise junge und alte Menschen, Frauen und Männer sowie nicht-binäre, trans- und intergeschlechtliche Menschen, homo- und bisexuelle Menschen, Menschen in Armut, Menschen mit Behinderungen oder anderen gesundheitlichen Einschränkungen, Menschen auf der Flucht, mit Flucht- oder mit Migrationsgeschichte oder in Folge von Flucht getrennte Familien, alleingeführte Familienhaushalte, Menschen in weiteren besonders vulnerablen Lebenssituationen etc.) ganz unterschiedlich betroffen sein. Sie alle haben besondere Bedürfnisse und bringen unterschiedliche Kapazitäten und individuelles Wissen für ein ganzheitliches Katastrophenrisikomanagement mit. Vulnerable Personen und Gruppen sind daher nicht als passive Schutzbedürftige, sondern als aktive Akteure anzusehen, die das Katastrophenrisikomanagement in allen Bereichen und auf allen Ebenen (Bund, Land, Kommune) mitgestalten können”.2
Das höhere Armutsrisiko und die durchschnittlich geringeren Einkommen und Vermögen von Frauen tragen zu einer durchschnittlich höheren Vulnerabilität für Klimawandelfolgen bei. Insbesondere das höhere Risiko für Altersarmut sollte in diesem Kontext stärkere Berücksichtigung in Forschung und politischen Maßnahmen finden, da Menschen im höheren Alter besonders von Hitze und anderen gesundheitlichen Klimawandelfolgen gefährdet sind. Hier stellen eine schlecht isolierte Wohnung, schlechterer Zugang zu Grünflächen, gesundheitsförderlicher Ernährung und Bewegung sowie Unterstützungssystemen, eine zusätzliche Gesundheitsgefahr dar.3
Beispiel Hitze: Risiken differenziert betrachten
Betrachtet man die Studienlage beispielsweise zu Hitze im Detail, so zeigt sich in Bezug auf einige Geschlechterunterschiede ein differenziertes Bild. Laut Sachstandsbericht des Robert Koch Instituts (RKI) sind Frauen zwar aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung absolut gesehen stärker von hitzebedingter Sterblichkeit betroffen. In derselben Altersgruppe pro 100.000 Einwohner:innen seien hitzebedingte Sterbefälle aber zwischen den Geschlechtern (binär) vergleichbar, wobei sich die Risikofaktoren bei Frauen und Männern zu unterscheiden schienen.4 Eine Auswertung von Krankmeldungen zeigt bei Männern, anders als bei Frauen, während Hitzeperioden einen Anstieg in Krankmeldungen aufgrund von Muskel- Skelett-Erkrankungen, Infektionskrankheiten sowie urogenitalen, psychischen und Verhaltensstörungen.5 Internationale Studien weisen darauf hin, dass verheiratete Männer bei hitzeassoziierten Gesundheitsproblemen besser von ihren Ehefrauen versorgt bzw. durch das Rufen von professioneller Hilfe unterstützt werden als umgekehrt verheiratete Frauen von ihren Ehemännern. Alleinstehende Männer wären allerdings durch eine durchschnittlich größere soziale Isolation vulnerabler als alleinstehende Frauen.6 Es wäre also vereinfacht zu sagen, dass Frauen mehr von Hitze gefährdet sind – sie sind anders gefährdet und in einigen Risikogruppen überrepräsentiert.
Schlüsselrolle von Gesundheitsfachpersonen
Die gezielte Aufklärung von Schwangeren, Eltern und betreuenden Personen von Babys und Kleinkindern über die gesundheitliche Bedeutung von Hitzeschutz, ist allerdings in der Tat eine wichtige Maßnahme. Hier haben insbesondere Hebammen, Erzieher:innen, Ärzt:innen und andere Gesundheitsfachpersonen eine Schlüsselrolle, weshalb Gesundheitsrisiken und entsprechende Maßnahmen, die mit zunehmenden Hitzeperioden und anderen Klimawandelfolgen unbedingt in ihre Aus- und Weiterbildung integriert werden sollte.
In Bezug auf Babys und Kleinkinder ist nicht nur die Aufklärung und Verantwortung der Eltern gefragt. Spielplätze, Kitas, Schulhöfe und andere Aufenthaltsräume zu verschatten, zu begrünen oder anderweitig zu kühlen, wäre ebenfalls wichtig.
Unterschiedliche Bedürfnisse in der Stadtplanung und der Arbeitswelt berücksichtigen
Viele Städte haben bereits Strategien und Pläne zur Anpassung an den Klimawandel entwickelt und angefangen diese umzusetzen. Dabei sollten unterschiedliche Bedürfnisse u.a. von Menschen unterschiedlicher Geschlechter, berücksichtigt werden. Trinkwasserbrunnen sind für alle wichtig – saubere und barrierefreie öffentliche Toiletten für einige aber eine besonders wichtige Voraussetzung, um tatsächlich mehr zu trinken, auch wenn sie unterwegs sind. Auch in Bezug auf die Arbeitswelt spielen Geschlechterdynamiken in Lösungsansätzen zum Umgang mit Klimawandelfolgen eine Rolle. So kann eine flexible Arbeitszeit mit einer ausgedehnten Pause (ähnlich einer Siesta) in der Mitte des Tages und mehr Arbeitsstunden in den kühlen Morgen- und Abendstunden für einige Arbeitnehmer:innen eine gut Hitzeschutzmaßnahme sein. Allerdings werden Arbeitnehmer:innen mit jüngeren Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen (deren Care-Arbeit zu einem größeren Teil Frauen übernehmen) davon oftmals keinen Gebrauch machen können.
In diesem Kontext sollten Lehren aus der Covid-19-Pandemie im Hinblick auf die durch die Schließungen bzw. das reduzierte Betreuungsangebot von Kitas, Schulen, Freizeiteinrichtungen, usw. resultierende zusätzliche Sorgearbeit, die Frauen überproportional übernahmen, gezogen werden. Krisensituation und Störungen in der Betreuungsstruktur und Gesundheitsversorgung nach Extremwetterereignissen können durch Klimawandelfolgen häufiger werden, weshalb in der Klimaanpassungsmaßnahmen gendersensibel geplant werden sollten, um die Mehrbelastung von Frauen möglichst gering zu halten.7
Aufklärungs- und Informationskampagnen auch an Männer richten
Aufklärungs- und Informationskampagnen können sinnvoll sein, um die Bevölkerung für gesundheitliche Klimawandelfolgen und entsprechende Verhaltensmaßnahmen zu sensibilisieren. Unbeabsichtigte Effekte sollten dabei aber ebenfalls in Betracht gezogen werden. So sollte vermieden werden, dass eine Kommunikationskampagne zu Hitze, die Frauen in den Fokus nimmt, dazu führt, dass Männer den Eindruck bekommen, sie seien keine Risikogruppe. Dabei nehmen Männer im Durchschnitt weniger häufig vorsorgliche Maßnahmen in Anspruch und zeigen insgesamt ein größeres Risikoverhalten.
Frauen haben häufiger eine höhere Risikowahrnehmung und zeigen eine größere Handlungsbereitschaft in Bezug auf den Klimawandel als Männer.8 So reduzieren Frauen z.B. häufiger ihren Fleischkonsum aufgrund von dessen Umwelt‑, Klima- und Gesundheitsauswirkungen als Männer, wobei die Einkommenssituation hier einen erheblichen Einfluss hat. Die unterschiedlichen Ernährungspräferenzen lassen sich dabei auf das soziale- und nicht das biologische Geschlecht zurück führen – Männer sehen eine gesunde, pflanzenbetonte Ernährungsweise oft als „unmännlich“.9 Daher könnte man argumentieren, dass Kommunikations- /Aufklärungskampagnen Männer sogar mehr in den Fokus nehmen sollten als Frauen und insbesondere Aspekte, die sie selbst beeinflussen können (z.B. bei Hitze auf Alkohol und Drogen verzichten, viel Wasser trinken, die direkte Sonne meiden, leichte Speisen bevorzugen, etc.) betont werden sollten.
Klimaschutz an erster Stelle
Die individuellen Möglichkeiten zum Schutz vor Klimawandelfolgen haben natürlich Grenzen. Je stärker der Klimawandel voranschreitet, desto größer werden die assoziierten Gesundheitsrisiken sowie die Freiheitseinschränkungen, die mit notwendigen Schutzmaßnahmen einhergehen. Effektive, ambitionierte und sozialgerechte Klimaschutzmaßnahmen bleiben daher der wichtigste Faktor in der Klimaanpassung.
1Bolte G., David M., Dębiak M., Fiedel L., Hornberg C., Kolossa-Gehring M., Kraus U., Lätzsch R., Paeck T., Palm K., Schneider A. (2018) Integration von Geschlecht in die Forschung zu umweltbezogener Gesundheit. Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsnetzwerks Geschlecht — Umwelt — Gesundheit (GeUmGe-NET), Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz; 61: 737–746.
2Bundesministerium des Inneren und für Heimat (2022). Deutsche Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen. Umsetzung des Sendai Rahmenwerks für Katastrophenvorsorge (2015–2030) — Der Beitrag Deutschlands 2022–2030. BMI. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bevoelkerungsschutz/BMI22017-resilienz-katastrophen. html
3Spitzner, M., Hummel, D., Stieß, I., Alber, G., & Röhr, U. (2020). Interdependente Genderaspekte der Klimapolitik: Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik; Wirkungsanalyse, Interdependenzen mit anderen sozialen Kategorien, methodische Aspekte und Gestaltungsoptionen. UBA-Texte 30/2020.
4Winklmayr, C., Matthies-Wiesler, F., Muthers, S., Buchien, S., Kuch, B., & Mücke, H. G. (2023). Hitze in Deutschland: Gesundheitliche Risiken und Maßnahmen zur Prävention. J Health Monit 8(S4): 3–34.
5Klauber, H. C. (2023). Air Pollution, Climate Change, and Human Health. Fakultät VI — Planen Bauen Umwelt der Technischen Universität Berlin.
6Röhr, U., Alber, G., & Göldner, L. (2018). Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik: Forschungsreview, Analyse internationaler Vereinbarungen, Portfolioanalyse. Zwischenbericht. UBA-Texte 23/2018.
7Spitzner, M., Hummel, D., Stieß, I., Alber, G., & Röhr, U. (2020). Interdependente Genderaspekte der Klimapolitik: Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik; Wirkungsanalyse, Interdependenzen mit anderen sozialen Kategorien, methodische Aspekte und Gestaltungsoptionen. UBA-Texte 30/2020.
8Lehrer, L., Hellmann, L., Temme, H., Otten, L., Hübenthal, J., Geiger, M., Jenny, M. A., & Betsch, C. (2023). Kommunikation zu Klimawandel und Gesundheit für spezifische Zielgruppen. J Health Monit 8(S6): 39–60. 9Röhr, U., Alber, G., & Göldner, L. (2018). Gendergerechtigkeit als Beitrag zu einer erfolgreichen Klimapolitik: Forschungsreview, Analyse internationaler Vereinbarungen, Portfolioanalyse. Zwischenbericht. UBA-Texte 23/2018.
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