Stel­lung­nah­me: Thü­rin­ger Gesetz zur Neu­ord­nung des öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes

Vor­be­mer­kung

Die Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen bedro­hen die Gesund­heit aller Men­schen welt­weit und in Deutsch­land. Maß­nah­men des gesund­heits­be­zo­ge­nen Kli­ma- und Umwelt­schut­zes, sowie umwelt- und kli­ma­be­zo­ge­ner Gesund­heits­schutz haben gro­ßes Poten­zi­al, die­sen Kri­sen zu begeg­nen und gleich­zei­tig Gesund­heit zu schüt­zen, zu erhal­ten und zu ver­bes­sern. Aller­dings fehlt im durch Res­sort­lo­gi­ken gepräg­ten föde­ra­len Regie­rungs­sys­tem in Deutsch­land oft­mals die gesetz­li­che Grund­la­ge und damit die Res­sour­cen und Ver­ant­wor­tungs­zu­wei­sung für Akti­vi­tä­ten an die­sen
Schnitt­stel­len. Eine aktu­el­le rechts­wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­se zeig­te bei­spiels­wei­se, dass „weder die Kli­ma­an­pas­sungs­ge­set­ze einen beson­de­ren Fokus auf Gesund­heit noch die Gesund­heits­dienst­ge­set­ze einen Fokus auf das Kli­ma zu legen schei­nen“ 1. Die Aus­ge­stal­tung einer voll­stän­dig neu­en gesetz­li­chen Norm für den Öffent­li­chen Gesund­heits­dienst (ÖGD) in Thü­rin­gen stellt daher eine beson­de­re Chan­ce dar, hier Pio­nie­rin zu sein und resi­li­en­z­schaf­fen­de Struk­tu­ren für den ÖGD in Zei­ten öko­lo­gi­scher Kri­sen zu schaf­fen.

Zen­tra­le Bedin­gung hier­für ist ein Gesund­heits­be­griff, der Gesund­heit ins­be­son­de­re als Ergeb­nis struk­tu­rel­ler, also bei­spiels­wei­se sozia­ler, öko­lo­gi­scher und kom­mer­zi­el­ler Ein­fluss­fak­to­ren, ver­steht. Neben der bio­lo­gi­schen Aus­stat­tung wird Gesund­heit vor allem durch mensch­li­ches Ver­hal­ten bedingt, wel­ches wie­der­um von den Lebens­um­stän­den maß­geb­lich beein­flusst wird, in denen Men­schen auf­wach­sen, ler­nen, spie­len und arbei­ten. In glei­chem Maße wer­den die öko­lo­gi­schen Kri­sen durch die Gesamt­heit mensch­li­cher Akti­vi­tä­ten, also des kol­lek­ti­ven Ver­hal­tens von Gesell­schaf­ten, getrie­ben. Wis­sen bezüg­lich gesund­heits­för­der­li­cher und ‑schäd­li­cher bzw. kli­ma- und umwelt­freund­li­cher und ‑schäd­li­cher Ver­hal­tens­wei­sen spielt kei­ne irrele­van­te, jedoch nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le für indi­vi­du­el­le und kol­lek­ti­ve Ver­hal­tens­än­de­run­gen; sofern die Bedin­gun­gen in Lebens­wel­ten nicht der­art gestal­tet sind, dass gesund­heits­för­der­li­ches und klima/umweltfreundliches Ver­hal­ten für alle ein­fach, attrak­tiv und bezahl­bar ist. In den meis­ten Fäl­len ist die gesun­de auch die kli­ma-/um­welt­freund­li­che Ver­hal­tens­wei­se oder All­tags­ent­schei­dung, bei­spiels­wei­se bezüg­lich einer über­wie­gend pflan­zen­be­ton­ten Ernäh­rung oder akti­ver Mobi­li­täts­for­men.

Um zum Erfolg der gesamt­ge­sell­schaft­li­chen sozi­al-öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on bei­zu­tra­gen, ist sowohl im Gesund­heits- als auch im Umwelt­be­reich ein ver­stärk­ter Fokus auf Prä­ven­ti­on von­nö­ten2. Das deut­sche Gesund­heits­sys­tem ist aktu­ell vor­der­grün­dig auf Kura­ti­on und medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung aus­ge­rich­tet. Glei­cher­ma­ßen muss die gesamt­ge­sell­schaft­li­che Resi­li­enz gegen­über den nicht mehr ver­meid­ba­ren Aus­wir­kun­gen der öko­lo­gi­schen Kri­sen erhöht wer­den. Gute Gesund­heit und Wohl­erge­hen sind hier­für ein wich­ti­ger Fak­tor (so zeig­te sich in der COVID-19-Pan­de­mie, dass vor­er­krank­te Per­so­nen der neu­ar­ti­gen Zoo­no­se gegen­über vul­nerabler waren als gesun­de Men­schen; glei­ches weiß man über die Aus­wir­kun­gen von z.B. Hit­ze­wel­len) und damit ergibt sich ein wei­te­res Argu­ment für Anstren­gun­gen und Inves­ti­tio­nen in Krank­heits­prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung. Im Sin­ne des ein­gangs beschrie­be­nen Gesund­heits­be­griffs ist hier­bei vor allem auf die Gestal­tung prä­ven­ti­ver und gesund­heits­för­der­li­cher Bedin­gun­gen in den Lebens­wel­ten Kom­mu­ne, Kita, Schu­le und Betrieb abzu­zie­len. Allei­ni­ge Wis­sens­ver­mitt­lung im Rah­men von Auf­klä­rungs- und Bera­tungs­ak­ti­vi­tä­ten (Ver­hal­tens­prä­ven­ti­on) greift zu kurz.

Für den ÖGD ergibt sich dar­aus: einer­seits blei­ben ori­gi­när indi­vi­du­al­me­di­zi­ni­sche Auf­ga­ben, wie zum Bei­spiel amts­ärzt­li­che Unter­su­chun­gen, sowie der sozi­al­kom­pen­sa­to­ri­sche Auf­trag der auf­su­chen­den Akti­vi­tä­ten und der Beschrei­bung und Erfül­lung der Bedar­fe benach­tei­lig­ter Grup­pen bestehen. Die Auf­ga­be des Gesund­heits­schut­zes und die Abwehr von Gefah­ren erhält im Kon­text der Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen ver­stärk­tes Gewicht. Eben­falls erhöh­ter Hand­lungs­im­pe­tus besteht für die ver­hält­nis­be­zo­ge­nen Akti­vi­tä­ten der Prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung. Hier ergibt sich für den ÖGD nicht nur eine sozi­al­kom­pen­sa­to­ri­sche, son­dern auch eine sozi­al­ge­stal­te­ri­sche Rol­le in der Ver­än­de­rung der struk­tu­rel­len Ein­fluss­fak­to­ren auf gesund­heits- und kli­ma-/um­welt­be­zo­ge­nes Ver­hal­ten der Bevöl­ke­rung.

Zur Erhö­hung der eige­nen Resi­li­enz des ÖGD gegen­über zukünf­ti­gen Kri­sen und der Ver­bes­se­rung sei­ner Hand­lungs­fä­hig­keit bezüg­lich sei­ner (wei­ter) bestehen­den Auf­ga­ben­fel­der wur­de die Not­wen­dig­keit einer ver­bes­ser­ten per­so­nel­len, tech­ni­schen und finan­zi­el­len Aus­stat­tung, sowie ein Fokus auf mul­ti­pro­fes­sio­nel­les Arbei­ten bereits viel­fach betont und ist unab­ding­bar3.

Um jedoch gesund­heits­för­der­li­che, kli­ma- und umwelt­freund­li­che Lebens­be­din­gun­gen für alle zu schaf­fen, ist effek­ti­ves Zusam­men­ar­bei­ten über Res­sort­gren­zen hin­weg sowie eine poli­ti­sche Prio­ri­sie­rung die­ser Zie­le für Ver­wal­tungs­han­deln, im Sin­ne des „health in all poli­ci­es-Ansat­zes“4 nötig.

Kom­men­tie­rung der bei­den Gesetz­ent­wür­fe

1. Gesetz­ent­wurf der Par­la­men­ta­ri­schen Grup­pe der FDP, Druck­sa­che 7/8556

Errich­tung eines „Thü­rin­ger Lan­des­zen­trums Gesund­heit“: Die Zie­le einer Bün­de­lung von Auf­ga­ben, die Ent­las­tung der kom­mu­na­len Gesund­heits­äm­ter, eine Digi­ta­li­sie­rungs­in­itia­ti­ve sowie ein­heit­li­che und rechts­si­che­re Wei­sungs­be­fug­nis­se und Leit­li­ni­en sind posi­tiv zu bewer­ten. Die in §1 (4) vor­ge­se­he­ne Ein­rich­tung eines Kom­pe­tenz­zen­trums Gesund­heits­schutz ist im Hin­blick auf die Not­wen­dig­keit von Gefah­ren­ab­wehr (zB neu­er Infek­ti­ons­er­re­ger oder Groß­scha­dens­la­gen) sinn­voll, aller­dings soll­te auf Lan­des­ebe­ne ein min­des­tens eben­so gro­ßer Fokus auf die Prä­ven­ti­on die­ser Art von Gefah­ren gelegt wer­den. Hier ist die Inter­pre­ta­ti­on des Begriffs „Gesund­heits­vor­sor­ge“ §1 (4) Satz 2 ent­schei­dend. Die­ser soll­te sich nicht nur bspw. auf das Vor­hal­ten von Schutz­klei­dung oder Mas­ken bezie­hen, son­dern unter ande­rem auch die Eta­blie­rung lan­des­wei­ter Struk­tu­ren und Pro­zes­se zur Abschwä­chung der Aus­wir­kun­gen von Hit­ze­wel­len oder der Sur­veil­lan­ce und Pri­mär­prä­ven­ti­on von (neu­en) Infek­ti­ons­er­re­gern beinhal­ten. Ins­ge­samt soll­te in die­sem Gesetz­ent­wurf der Fokus auf das Schaf­fen gesund­heits­för­der­li­cher und prä­ven­ti­ver Lebens­wel­ten, die auch zu einer Adres­sie­rung der öko­lo­gi­schen Kri­sen bei­tra­gen, gestärkt wer­den. Wie ein­gangs beschrie­ben ist hier­für eine Ori­en­tie­rung am health-in-all-poli­ci­es Ansatz not­wen­dig, die im aktu­el­len Ent­wurf nur latent impli­zit und nicht expli­zit erkenn­bar ist. Evi­dent ist der über­mä­ßi­ge Fokus auf Ver­hal­tens­prä­ven­ti­on u.a. in der For­mu­lie­rung „Ziel, auf eine gesun­de und gesund­heits­för­der­li­che Lebens­wei­se der Bürger:innen und Bür­ger hin­zu­wir­ken, deren gesund­heit­li­che Eigen­ver­ant­wor­tung zu stär­ken“ (§1 (1) Satz 1). Das dem Geset­zes­ent­wurf zugrun­de­lie­gen­de Gesund­heits­ver­ständ­nis wird in §1 (1) Satz 4 als „umfas­sen­der kör­per­li­cher, psy­chi­scher und sozia­ler Zustand des Wohl­be­fin­dens“ beschrie­ben und die „wich­ti­ge Rol­le einer gesund­heits­för­der­li­chen sozia­len und öko­lo­gi­schen Lebens­welt“ betont. Im wei­te­ren Geset­zes­ent­wurf fehlt jedoch die expli­zi­te Ver­an­ke­rung eines ent­spre­chen­den ver­hält­nis­prä­ven­ti­ven Fokus.

Einem moder­nen Ver­ständ­nis von Prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung nicht ent­spre­chend ist außer­dem der pater­na­lis­ti­sche Begriff der „Gesund­heits­er­zie­hung“ (§1 (2) Nr. 2.

Unter §1 (2) Nr. 3 soll­te nicht nur auf die Über­tra­gung von Krank­hei­ten, son­dern auch auf das Auf­tre­ten neu­er und Ver­än­de­run­gen von in Deutsch­land ende­mi­schen Infek­ti­ons­krank­hei­ten abge­stellt wer­den.

In §1 (2) Nr. 5 ist wie­der­um der über­mä­ßi­ge Fokus auf Ver­hal­tens­prä­ven­ti­on (Bera­tun­gen und Auf­klä­rung) sowie die Gefah­ren­ab­wehr evi­dent und soll­te ergänzt wer­den um einen Fokus auf die Ver­hält­nis­prä­ven­ti­on und die Ver­hin­de­rung von Gefah­ren.

§1 (3) sieht das Erstel­len von „Gut­ach­ten und Zeug­nis­sen in den Fach­fra­gen sei­nes [des ÖGDs] Zustän­dig­keits­be­reichs“ vor. Eine Mög­lich­keit, dem health-in-all-poli­ci­es-Ansatz sowie dem ein­gangs beschrie­be­ne Gesund­heits­ver­ständ­nis Rech­nung zu tra­gen, wäre die expli­zi­te und ver­pflich­ten­de Ver­an­ke­rung einer Ein­be­zie­hung der Gesund­heits­per­spek­ti­ve in Planungs‑, Haus­halts- und Geset­zes­vor­ha­ben iS von Gesund­heits­fol­gen­ab­schät­zun­gen der poli­ti­schen und admi­nis­tra­ti­ven Akti­vi­tä­ten aller Res­sorts.

§3 (3) sieht die Lei­tung der kom­mu­na­len Gesund­heits­äm­ter durch Fach­ärztinnen für Öffent­li­ches Gesund­heits­we­sen oder stell­ver­tre­tend durch Fach­ärztinnen mit meh­re­ren Jah­ren Berufs­er­fah­rung im Bereich Öffent­li­ches Gesund­heits­we­sens vor. Im Sin­ne der not­wen­di­gen Ent­wick­lung des ÖGD zu einer mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Insti­tu­ti­on sowie ange­sichts des Fach­kräf­te­man­gels und der für Füh­rungs­po­si­tio­nen ins­be­son­de­re not­wen­di­gen Fähig­kei­ten im Bereich Unter­neh­mens­füh­rung und Per­so­nal­ma­nage­ment sehen wir die­se Norm als nicht zeit­ge­mäß an. Wir regen an, die Qua­li­fi­zie­rung von Bewerber*innen für die­ses Amt an den fol­gen­den Kri­te­ri­en zu mes­sen: Aus­bil­dung in einem für öffent­li­che Gesund­heit / Public Health rele­van­ten Gebiet, Berufs­er­fah­rung in Füh­rungs­po­si­tio­nen, Berufs­er­fah­run­gen im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen, rele­van­te Wei­ter­bil­dun­gen im Bereich Unter­neh­mens­füh­rung und Per­so­nal­ma­nage­ment, per­sön­li­che Eig­nung.

In §4 soll­te der Fokus auf durch die Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen ent­ste­hen­de gesund­heit­li­che Bedro­hun­gen und ins­be­son­de­re ihre Prä­ven­ti­on durch Maß­nah­men mit co-bene­fits expli­zit ver­an­kert wer­den. Bei­spiels­wei­se könn­te in §4 Nr. 7 und 8 die Erstel­lung eines lan­des­wei­ten Hit­ze­ak­ti­ons­plans und bzw die Ein­rich­tung eines Kri­sen­sta­bes bei Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen expli­zit ver­an­kert wer­den.

§5 soll­te eine inte­grier­te Bericht­erstat­tung vor­se­hen, die sich aus sozia­len, wirt­schaft­li­chen gesund­heit­li­chen und öko­lo­gi­schen Raum­ana­ly­sen zusam­men­setzt und ent­spre­chen­de Bedar­fe gegen­über­stellt. Denn im Sin­ne des ein­gangs beschrie­be­nen Gesund­heits­ver­ständ­nis­ses ist Gesund­heit Ergeb­nis sozia­ler, öko­lo­gi­scher und kom­mer­zi­el­ler Ein­fluss­fak­to­ren aus den jewei­li­gen Lebens­um­stän­den.

In §6 (1) ist wie­der­um der zu enge und über­mä­ßi­ge Fokus auf Ver­hal­tens­prä­ven­ti­on in der allei­ni­gen expli­zi­ten Nen­nung von Auf­klä­rung über eine gesun­de Lebens­wei­se, Infor­ma­ti­on über Gesund­heits­an­ge­bo­ten und Impf­be­ra­tung evi­dent. Die­ses Auf­ga­ben­spek­trum soll­te in die­ser gesetz­li­chen Norm unbe­dingt ergänzt wer­den um einen ver­hält­nis­prä­ven­ti­ven Fokus. Alter­na­tiv soll­ten in den gesetz­li­chen Grund­la­gen für ver­hält­nis­re­le­van­te Res­sorts eine ver­pflich­ten­de Ein­be­zie­hung der Per­spek­ti­ve öffent­li­che Gesund­heit ver­an­kert wer­den. Um die Wir­kung der in §6 (2) Satz 2 genann­ten Arbeits­krei­se und Gesund­heits­kon­fe­ren­zen sicher­zu­stel­len, soll­te deren Rol­le (zB Ent­wick­lung von Emp­feh­lun­gen und deren ver­pflich­ten­de Prü­fung im poli­ti­schen Ent­schei­dungs­fin­dungs­pro­zess) sowie ihre Zusam­men­set­zung (die ressort‑, akteurs- und lebens­welt­über­grei­fend sein soll­te) hier gesetz­lich nor­miert wer­den.

Die Adres­sie­rung von über­trag­ba­ren Krank­hei­ten soll­te sich nicht vor­der­grün­dig auf die Auf­de­ckung von Infek­ti­ons­ket­ten sowie die Infor­ma­ti­on der Bevöl­ke­rung wie in §7 genannt, beschrän­ken. Viel­mehr soll­te ein Fokus auf der Prä­ven­ti­on von Aus­brü­chen, inklu­si­ve der Pri­mär­prä­ven­ti­on was die (kli­ma­wan­de­l­as­so­zi­ier­ter) Eta­blie­rung neu­er Infek­ti­ons­er­re­ger in Deutsch­land angeht, lie­gen.

§10 Nr. 6 lässt viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum zu hin­sicht­lich der Fra­ge, wel­che Pla­nungs­vor­ha­ben hier gemeint sind und im Kon­text wel­cher Umwelt­ein­flüs­se. Dies soll­te aus­ge­führt wer­den. Wei­ter­hin soll­te sich im gesam­ten §10 ein stär­ke­rer Fokus auf die Ver­hält­nis­prä­ven­ti­on durch Maß­nah­men mit co-bene­fits und damit neben der mensch­li­chen Gesund­heit auch auf die Abschwä­chung und Ein­däm­mung von Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen wider­spie­geln. In der aktu­el­len Form besteht ein über­mä­ßi­ger Fokus auf Bera­tung, Auf­klä­rung und Gefah­ren­ab­wehr.

Der Gesetz­ent­wurf könn­te um einen Pas­sus bezüg­lich der Nach­hal­tig­keit des ÖGD selbst ergänzt wer­den. §7 des Thür­Kli­maG sieht eine Vor­bild­wir­kung der öffent­li­chen Stel­len des Lan­des Thü­rin­gen vor, was „Ener­gie­ein­spa­rung, die effi­zi­en­te Bereit­stel­lung, Umwand­lung, Nut­zung und Spei­che­rung von Ener­gie, die Nut­zung erneu­er­ba­rer Ener­gien sowie den effi­zi­en­ten Umgang mit ande­ren Res­sour­cen“ betrifft. Hier sol­len „Maß­nah­men zur Min­de­rung der Treib­haus­ga­se, zur Ener­gie­ef­fi­zi­enz, zum Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gien und der nach­hal­ti­gen Mobi­li­tät sowie zur Anpas­sung an die Fol­gen des Kli­ma­wan­dels“ ergrif­fen wer­den. §7 (4) stellt dies den Gemein­den und Land­krei­sen in die eige­ne Ver­ant­wor­tung.

In die­sem Bereich könn­te das Land Thü­rin­gen eine Pio­nier­rol­le im deut­schen Ver­gleich ein­neh­men, indem es den ÖGD vor dem Hin­ter­grund sei­ner beson­de­ren Ver­ant­wor­tung für die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung, die durch nicht-nach­hal­ti­ges Ver­wal­tungs­han­deln mit­be­droht wird, kli­ma- und umwelt­freund­lich auf­stellt.

Gesetz­ent­wurf der Frak­tio­nen DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Druck­sa­che 7/8922

Bewer­tung der Grund­la­ge für den Ent­wurf, die aus Druck­sa­che 7/6008, II. Ziff. 2 zitiert wird:

Die Ori­en­tie­rung des Ent­wurfs am Leit­bild für einen moder­nen ÖGD, an den Emp­feh­lun­gen des Bei­rats zum Pakt für den ÖGD sowie der Otta­wa-Char­ter der WHO sind zu begrü­ßen. Neben der sozi­al­kom­pen­sa­to­ri­schen Rol­le (in A.a) genannt), soll­te auch die sozi­al­ge­stal­te­ri­sche Rol­le wie ein­gangs erläu­tert, betont wer­den. Unter A.b) soll­te die Schwer­punkt­set­zung zumin­dest gleich­wer­tig auf Gefah­ren­ab­wehr und dem Abbau gesund­heit­li­cher Chan­cen­un­gleich­heit lie­gen, denn letz­te­res trägt zur Resi­li­en­z­bil­dung der Bevöl­ke­rung hin­sicht­lich ers­te­rem bei. Neben dem Kli­ma­wan­del soll­ten auch die wei­te­ren öko­lo­gi­schen Kri­sen, zumin­dest die Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen und ihre gesund­heit­li­chen Aus­wir­kun­gen, expli­zit als Bedro­hung der Bevöl­ke­rungs­ge­sund­heit und damit als Hand­lungs­feld für den ÖGD, benannt wer­den. Unter A.c) soll­ten als prio­ri­tä­re Auf­ga­be für den ÖGD vor allem der Auf­bau von Prä­ven­ti­ons­ket­ten genannt wer­den, mit einem lebens­pha­sen- und lebens­welt­über­grei­fen­den Ansatz. Die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung ist davon als Bau­stein zu betrach­ten und nicht umge­kehrt.

Die Zie­le einer Bün­de­lung von Auf­ga­ben, die Erar­bei­tung einer Stra­te­gie zur Per­so­nal­ge­win­nung, die Ver­an­ke­rung ent­spre­chen­der Fort- und Wei­ter­bil­dungs­mög­lich­kei­ten sowie die Digi­ta­li­sie­rung sind posi­tiv zu bewer­ten. Die Nut­zung und Zusam­men­füh­rung bestehen­der Struk­tu­ren erscheint im Sin­ne der zeit­li­chen und finan­zi­el­len Effi­zi­enz sinn­voll.

Die Beto­nung res­sour­cen­scho­nen­den Arbei­tens unter D. ist zu begrü­ßen, soll­te jedoch auch expli­zit im Gesetz nor­miert wer­den.

Die unter §1 (1) Satz 1 genann­ten Ein­fluss­fak­to­ren auf Gesund­heit, inklu­si­ve öko­lo­gi­scher und sozia­ler Belan­ge, ist posi­tiv zu bewer­ten. Hin­ge­gen ent­spricht die in §1 (1) Satz 3 vor­ge­nom­me­ne Prio­ri­sie­rung der „Stär­kung der Eigen­ver­ant­wor­tung“ ohne eine eben­bür­ti­ge Beto­nung der Not­wen­dig­keit, Lebens­wel­ten durch Maß­nah­men mit co-bene­fits gesund­heits­för­der­lich und prä­ven­tiv zu gestal­ten, nicht die­sem Gesund­heits­ver­ständ­nis. Der in Satz 3 vor­ge­nom­me­ne Fokus wird in der Begrün­dungs­schrift zu den ein­zel­nen Bestim­mun­gen „durch Auf­klä­rung und Initi­ie­rung von Pro­gram­men nach dem health-in-all-poli­ci­es-Ansatz“ ergänzt. Die­se Ver­knüp­fung ist aus fach­li­cher Sicht nicht sinn­voll, da über den health-in-all-poli­ci­es Ansatz ins­be­son­de­re die Berück­sich­ti­gung gesund­heit­li­cher Belan­ge in der Gestal­tung von Lebens­be­din­gun­gen in den Lebens­wel­ten und dar­über hin­aus erreicht wer­den soll. Wir befür­wor­ten die För­de­rung bür­ger­schaft­li­chen Enga­ge­ments und die Anwen­dung struk­tu­rier­ter Betei­li­gungs­pro­zes­se und die Stär­kung von Gesund­heits­kom­pe­tenz unein­ge­schränkt. Jedoch müs­sen die­se Ansät­ze zwin­gend um ver­hält­nis­prä­ven­ti­ve Maß­nah­men mit co-bene­fits ergänzt wer­den, um Gesund­heit auch in Zei­ten der öko­lo­gi­schen Kri­sen zu för­dern, zu erhal­ten und zu schüt­zen und die­se Kri­sen im Zuge der sozi­al öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on zu adres­sie­ren.

In §1 (2) soll­te die sozi­al­kom­pen­sa­to­ri­sche durch eine sozi­al­ge­stal­te­ri­sche Rol­le ersetzt wer­den. In §1 (6) wür­de es sich anbie­ten, das die­sem Gesetz­ent­wurf zugrun­de­lie­gen­de Ver­ständ­nis von Prä­ven­ti­on und Gesund­heits­för­de­rung aus­zu­buch­sta­bie­ren. Vor dem Hin­ter­grund der Not­wen­dig­keit einer sozi­al-öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on sind pri­mär­prä­ven­ti­ve Ansät­ze, die Lebens­wel­ten durch Maß­nah­men mit co-bene­fits so gestal­ten, dass gesund­heits­för­der­li­ches und nach­hal­ti­ges Ver­hal­ten für alle ein­fach, bezahl­bar und attrak­tiv ist, zu prio­ri­sie­ren.5

§2 (3) sieht die Lei­tung der kom­mu­na­len Gesund­heits­äm­ter durch Fach(zahn)ärzt*innen für Öffent­li­ches Gesund­heits­we­sen vor. Im Sin­ne der not­wen­di­gen Ent­wick­lung des ÖGD zu einer mul­ti­pro­fes­sio­nel­len Insti­tu­ti­on sowie ange­sichts der für Füh­rungs­po­si­tio­nen ins­be­son­de­re not­wen­di­gen Fähig­kei­ten im Bereich Unter­neh­mens­füh­rung und Per­so­nal­ma­nage­ment sehen wir die­se Norm als nicht zeit­ge­mäß an. Wir regen an, die Qua­li­fi­zie­rung von Bewerber*innen für die­ses Amt an den fol­gen­den Kri­te­ri­en zu mes­sen: Aus­bil­dung in einem für öffent­li­che Gesund­heit / Public Health rele­van­ten Gebiet, Berufs­er­fah­rung in Füh­rungs­po­si­tio­nen, Berufs­er­fah­run­gen im öffent­li­chen Gesund­heits­we­sen, rele­van­te Wei­ter­bil­dun­gen im Bereich Unter­neh­mens­füh­rung und Per­so­nal­ma­nage­ment, per­sön­li­che Eig­nung.

Die in §4 (2) vor­ge­se­he­ne kom­mu­na­le Gemein­schafts­ar­beit ist zu begrü­ßen. Die Per­spek­ti­ve Öffent­li­che Gesund­heit könn­te über die in §4 (2) vor­ge­se­he­ne Bera­tungs­funk­ti­on des ÖGD hin­aus in ande­ren Res­sorts und Pro­zes­sen gestärkt wer­den, bei­spiels­wei­se indem eine ver­pflich­ten­de Kon­sul­ta­ti­on des ÖGD u.a. bei Stadt­pla­nungs- und Bau­pro­zes­sen und die ent­spre­chen­de Durch­füh­rung von Gesund­heits­fol­gen­ab­schät­zung im Gesetz nor­miert wer­den.

Ent­spre­chend soll­te in §4 (4) aus­ge­führt wer­den, wie gesund­heits­re­le­van­te Pla­nun­gen und Maß­nah­men als sol­che erkannt wer­den. Denk­bar wäre bei­spiels­wei­se eine per­ma­nen­te Ent­sen­dung von ÖGD-Per­so­nal an alle ande­ren Res­sorts und die ent­spre­chen­de Ein­bin­dung die­ser Fach­kräf­te in Pla­nun­gen und Maß­nah­men. Über eine Anzei­ge­pflicht hin­aus soll­ten aus der Initi­ie­rung poten­zi­ell gesund­heits­re­le­van­ter Pla­nun­gen und Maß­nah­men fol­gen­de Kon­se­quen­zen, wie eine Gesund­heits­fol­gen­ab­schät­zung, ent­spre­chend nor­miert wer­den.

Der in § 6 (1) genann­te Begriff der „gesund­heit­li­chen Lebens­be­din­gun­gen“ ist inso­fern inter­es­sant, als dass es kei­ne Lebens­be­din­gung gibt, die kei­ne direk­te oder indi­rek­te Aus­wir­kung auf Gesund­heit hat. Eine Spe­zi­fi­zie­rung oder Ent­fer­nung des Begriffs „gesund­heit­lich“ wäre hier gege­be­nen­falls ange­zeigt.

In §6 (5) über die Zusam­men­set­zung der Lan­des­ge­sund­heits­kon­fe­renz wäre es iS des health-in-all poli­ci­es-Ansat­zes sinn­voll, auch Akteur:innen bei­spiels­wei­se aus den Res­sorts Umwelt, Bil­dung, Wirt­schaft und Sozia­les ein­zu­bin­den, da die­se wich­ti­ge Rol­len in der Gestal­tung von Lebens­wel­ten spie­len. Damit könn­te die Lan­des­ge­sund­heits­kon­fe­renz ein bera­ten­des Gre­mi­um für die Abwä­gung von Ziel­kon­flik­ten und die Umset­zung von Maß­nah­men mit mög­lichst syn­er­gis­ti­schem Nut­zen wer­den.

Die im gesam­ten §7 neben­ein­an­der gestell­ten Auf­ga­ben­fel­der in den Berei­chen Ver­hal­tens- und Ver­hält­nis­prä­ven­ti­on, sind zu begrü­ßen. Die Bericht­erstat­tung als Grund­la­ge für Zie­le und Schwer­punkt­set­zun­gen (§7 (2)), soll­te Daten aus den Berei­chen Umwelt, Gesund­heit und Sozia­les inte­grie­ren und Zie­le aus die­sen drei Berei­chen unter Beach­tung von Maß­nah­men mit co-bene­fits so for­mu­liert wer­den, dass mög­lichst nut­zen­ma­xi­mie­rend über die­se Berei­che hin­weg, ent­schie­den und gehan­delt wird (so schon für die Berei­che Umwelt und Gesund­heit in §7 (6) for­mu­liert).

§8 (1) Nr. 2 bie­tet die Mög­lich­keit einer expli­zi­ten Ver­an­ke­rung von co-bene­fits, indem als Ziel nor­miert wird: „Bera­tung zu Ernäh­rungs­fra­gen mit dem Ziel, die Bevöl­ke­rung gesund zu erhal­ten und Umwelt- und Tier­ge­sund­heit zu för­dern“

§10 (3) ent­hält bereits die Nen­nung von Daten und Indi­ka­to­ren zu Kli­ma und Gesund­heit im Rah­men der Gesund­heits­be­richt­erstat­tung. Die Inte­gra­ti­on von Daten aus die­sen Berei­chen mit Gesund­heit und Sozia­lem soll­te vor­ge­nom­men und nor­miert wer­den, um evi­denz­in­for­miert Abwä­gungs- und Ent­schei­dungs­pro­zes­se sowie Fol­gen­ab­schät­zun­gen durch­zu­füh­ren.

§14 nor­miert den Schutz vor gesund­heits­schä­di­gen­den Umwelt- und Kli­ma­ein­flüs­sen. Über die in §14 (2) nor­mier­ten Stel­lung­nah­men soll­te eine ver­pflich­ten­de Durch­füh­rung von umfas­sen­den Gesund­heits­fol­gen­ab­schät­zun­gen und deren ver­pflich­ten­de Berück­sich­ti­gung in Pla­nungs­vor­ha­ben, Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren und sons­ti­gen für Gesund­heit rele­van­ten Maß­nah­men, gesetz­lich nor­miert wer­den. Das bedeu­tet, die auch schon im Rah­men der Geset­ze zu Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fun­gen und Stra­te­gi­schen Umwelt­prü­fun­gen fest­ge­leg­te Rele­vanz des Schutz­guts Mensch zu stär­ken.

In §14 (3) soll­te das Wort „mög­li­cher­wei­se“ vor „gefähr­den­den Situa­tio­nen“ ein­ge­fügt wer­den, um dem Vor­sichts­prin­zip Rech­nung zu tra­gen6.

§22 soll­te als erheb­li­che gesund­heit­li­che Gefahr nach §22 Satz 1 auch die Klima‑, Bio­di­ver­si­täts- und Ver­schmut­zungs­kri­sen expli­zit benen­nen. Ent­spre­chend soll­te sich die in §23 Satz 1 Nr. 3 nor­mier­te Schaf­fung loka­ler, prä­ven­ti­ver Struk­tu­ren nicht nur auf die Bewäl­ti­gung von Pan­de­mien und Epi­de­mien bezie­hen, son­dern ins­be­son­de­re auch auf die Prä­ven­ti­on der Aus­wir­kun­gen von Hit­ze­wel­len und ande­ren Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen.

Im Fol­gen­den wer­den Ant­wor­ten auf die der Druck­sa­che 7/8922 bei­gefüg­ten Fra­gen gege­ben, soweit sie in unse­ren Exper­ti­se­be­reich fal­len.

  1. Wie soll­te aus fach­li­cher Sicht bes­ten­falls eine Bün­de­lung der Auf­ga­ben erfol­gen, und kann die­se Bün­de­lung ggf. ohne Bil­dung einer neu­en Behör­de erfol­gen?

Im Sin­ne eines moder­nen Gesund­heits­ver­ständ­nis­ses (Gesund­heit als Ergeb­nis diver­ser struk­tu­rel­ler Ein­fluss­fak­to­ren, zB sozia­ler, wirt­schaft­li­cher, öko­lo­gi­scher und kom­mer­zi­el­ler Deter­mi­nan­ten) regen wir an, Res­sort­lo­gi­ken, da wo es sinn­voll ist, auf­zu­bre­chen. Das bedeu­tet, eine Bün­de­lung von nicht medi­zi­ni­schen und nicht indi­vi­du­ell ver­hal­tens­prä­ven­ti­ven Auf­ga­ben (wie amts­ärzt­li­che Unter­su­chun­gen) in Enti­tä­ten diver­ser Res­sorts (zB taskforces) anzu­stre­ben. Hier­für wäre kei­ne neue Behör­de nötig, son­dern die Eta­blie­rung sek­tor­über­grei­fen­der, dyna­mi­scher Struk­tu­ren für die Zusam­men­ar­beit an gesund­heits­re­le­van­ten (iS des beschrie­be­nen Gesund­heits­ver­ständ­nis­ses) The­men und Vor­ha­ben. Dies wür­de sich bei­spiels­wei­se für die Gestal­tung einer sek­tor­über­grei­fen­den Berichts­er­stat­tung und der ent­spre­chen­den digi­ta­len Daten­in­fra­struk­tur anbie­ten.

Eine Bün­de­lung von Auf­ga­ben iS von ver­hält­nis­prä­ven­ti­ven Ansät­zen und health in all poli­ci­es soll­te sich in die­sem Sin­ne an einer Ana­ly­se der struk­tu­rel­len Trei­ber von Gesund­heit und Krank­heit mit einem Fokus auf mög­li­che Syn­er­gien (co-bene­fits) ori­en­tie­ren. Ein Bei­spiel hier­für wäre die Gestal­tung gesund­heits­för­der­li­cher und prä­ven­ti­ver Stadt­tei­le, die akti­ve Mobi­li­täts­for­men über kur­ze Wege für alle ermög­li­chen und somit die gesund­heit­li­chen Pro­ble­me Sess­haf­tig­keit, Treib­haus­gas­emis­sio­nen und Luft­ver­schmut­zung glei­cher­ma­ßen adres­sie­ren wür­den. Dies wür­de eine stär­ke­re Zusam­men­ar­beit des ÖGDs mit Ein­hei­ten der Stadt- und Raum­pla­nung bedeu­ten.

Bün­de­lung ver­steht sich hier­mit über die Ver­schmel­zung des Lan­des­amts für Ver­brau­cher­schutz mit den rele­van­ten Berei­chen des Lan­des­ver­wal­tungs­amts hin­aus­ge­hend als an den struk­tu­rel­len Deter­mi­nan­ten von Gesund­heit und Krank­heit ori­en­tier­tem Vor­gang.

10. Wie beur­tei­len Sie die ver­pflich­ten­de Nut­zung einer gemein­sam digi­ta­len Koope­ra­ti­ons-Platt­form, bei­spiels­wei­se für die Zusam­men­füh­rung der Gesund­heits­be­richt­erstat­tung (§5)?

Die­ser Vor­schlag ist zu begrü­ßen und ins­be­son­de­re die Schnitt­stel­len zwi­schen ein­zel­nen Gesund­heits­äm­tern, aber auch den Ver­wal­tungs­ebe­nen (Kom­mu­ne – Land – Bund) sowie mit ande­ren Res­sorts zu ermög­li­chen.

12. Zu §7: Wie kön­nen aus Ihrer Sicht die hier genann­ten Maß­nah­men bzw. Struk­tu­ren der Krank­heits­prä­ven­ti­on (z.B. im Bereich der kin­der- und jugend­zahn­ärzt­li­chen Prä­ven­ti­ons­ar­beit) so aus­ge­stal­tet und koor­di­niert wer­den, dass Syn­er­gie geho­ben wer­den und kei­ne Dop­pel­struk­tu­ren ent­ste­hen?

Kon­zep­tio­nell bestehen hin­sicht­lich die­ser Fra­ge zwei hilf­rei­che Abgren­zun­gen:

  1. zwi­schen den Berei­chen Früh­erken­nung und ver­hal­tens­be­zo­ge­nen Prä­ven­ti­ons­maß­nah­men (zu denen die zahn­ärzt­li­che Prä­ven­ti­ons­ar­beit sowie auch das Imp­fen oder Scree­ning-Unter­su­chun­gen zäh­len) und dem Bereich der Ver­hält­nis­prä­ven­ti­on, wel­cher die in §7 (6) ver­an­ker­te inter­sek­to­ra­le Zusam­men­ar­beit iS des health in all poli­ci­es-Ansat­zes erfor­dert.
  2. zwi­schen auf­su­chen­der Arbeit und der Beschrei­bung und Erfül­lung der gesund­heit­li­chen Bedar­fe benach­tei­lig­ter Per­so­nen­grup­pen, die gege­be­nen­falls nicht pro­ak­tiv Versorgung/Beratung suchen (kön­nen) und der Ver­sor­gung und Bera­tung derer, die fest in Ver­sor­gungs­struk­tu­ren ein­ge­bun­den sind, bzw. weni­ger benach­tei­ligt sind.

13. Zu $ 12 Abs. 2 Satz 4: Wel­che Hand­lungs­fol­gen und finan­zi­el­len Fol­gen für die Gesund­heits­äm­ter ergä­ben sich aus einer mög­li­chen Modii­zie­rung die­ser Rege­lung dahin­ge­hend, dass die Gesund­heits­äm­ter grund­sätz­lich zum Vor­hal­ten des ent­spre­chen­den Impf­an­ge­bots ver­pflich­tet wer­den?

Anstel­le die Gesund­heits­äm­ter zu ver­pflich­ten, selbst ein Impf­stoff­la­ger vor­zu­hal­ten, wäre es aus unse­rer Sicht sinn­voll, im Rah­men der Digi­ta­li­sie­rungs­in­itia­ti­ve für den ÖGD eine dyna­mi­sche Infor­ma­ti­ons- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form bezüg­lich der geo­gra­phi­schen und quan­ti­ta­ti­ven Ver­füg­bar­keit und Ablauf­da­ten von Impf­stof­fen in Ein­rich­tun­gen der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung, sowie Apo­the­ken zu schaf­fen. Der schnel­le Trans­fer von Impf­stof­fen oder der zu imp­fen­den Per­so­nen zu die­sen Stel­len könn­te somit ermög­licht wer­den. Der Orga­ni­sa­ti­ons- und finan­zi­el­le Auf­wand für den ÖGD könn­te so in Gren­zen gehal­ten wer­den.

Klim­wan­del­be­dingt wer­den in Deutsch­land bis­her nicht ende­mi­sche vek­tor- und nage­tier über­tra­ge­ne Infek­ti­ons­er­re­ger (zB Asia­ti­sche Tigermücke)synonym auf­tre­ten und sich Ende­mie­ge­bie­te (zB von Schild­ze­cken) ver­schie­ben. Daher soll­te geprüft wer­den, inwie­weit pri­mär­prä­ven­ti­ve (zB Brut­stät­ten­sa­nie­rung) sowie Moni­to­ring-Akti­vi­tä­ten vom ÖGD koor­di­niert und durch­ge­führt wer­den kön­nen. Hier­für ist eine Koope­ra­ti­on mit Vete­ri­när- und/oder Umwelt­amt (iS des One Health- Ansat­zes) sowie das Ein­bin­den der Bevöl­ke­rung und exter­ne Dienst­leis­ter wie Schäd­lings­be­kämp­fungs­un­ter­neh­men denk­bar. Ins­be­son­de­re für sol­che (neu­en) über­trag­ba­ren Krank­hei­ten, für die kei­ne Impf­prä­ven­ti­on mög­lich ist, ist ein auf diver­sen Stra­te­gien beru­hen­des pri­mär­prä­ven­ti­ves Vor­ge­hen unab­ding­bar.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen und Hand­lungs­emp­feh­lun­gen fin­den sich auch im Sach­stands­be­richt des Robert-Koch Insti­tuts, Kapi­tel Aus­wir­kun­gen von Kli­ma­ver­än­de­run­gen auf Vek­tor- und Nage­tier asso­zi­ier­te Infek­ti­ons­krank­hei­ten, Jour­nal of Health Moni­to­ring · 2023 8(S3) DOI 10.25646/11392

14. Zu §§ 23,24: Inwie­fern sind die­se Rege­lun­gen aus Ihrer Sicht geeig­net, die adäqua­te Auf­ga­ben­er­fül­lung des Öffent­li­chen Gesund­heits­diens­tes sicher­zu­stel­len, und inwie­fern sehen Sie ggf. Über­schnei­du­gen zu ande­ren recht­li­chen Rege­lun­gen aus dem Bereich des Bevöl­ke­rungs- und Kata­stro­phen­schut­zes?

Bis­her wird im Thü­rin­ger Brand- und Kata­stro­phen­schutz­ge­setz (ThürBKG) in der Fas­sung der Bekannt­ma­chung vom 5. Febru­ar 2008 hin­sicht­lich der Zusam­men­ar­beit im Gesund­heits­be­reich (§§ 36–37) expli­zit nur die Zusam­men­ar­beit mit Sani­täts­or­ga­ni­sa­tio­nen, sta­tio­nä­ren Gesund­heits­ein­rich­tun­gen, Apo­the­ken sowie mit den Berufs­kam­mern und berufs­stän­di­schen Ver­tre­tun­gen der Ange­hö­ri­gen der Gesund­heits­be­ru­fe nor­miert. Die Para­gra­phen §§23, 24 des Ent­wurfs stel­len daher eine wich­ti­ge Ergän­zung dar, um dem ÖGD im Bereich Bevöl­ke­rungs- und Kata­stro­phen­schutz eine Hand­lungs­grund­la­ge zu geben. Die­se soll­te sich nicht nur auf den Fall einer epi­de­mi­schen oder pan­de­mi­schen Lage beschrän­ken, son­dern bei­spiels­wei­se auch den Fall kli­ma­wan­del­be­ding­ter Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se (Hit­ze­pe­ri­oden, Stark­re­gen, …) ein­schlie­ßen. Hier­für könn­te unter §23, Satz 1, Nr. 3 ergänzt wer­den: auf loka­ler Ebe­ne prä­ven­tiv Struk­tu­ren zur Bewäl­ti­gung von Aus­bruchs­ge­sche­hen von Infek­ti­ons­krank­hei­ten, Hit­ze­wel­len und Hoch­was­ser­er­eig­nis­sen zu schaf­fen.

15. Zu §29: Wie schät­zen Sie — inbe­son­de­re für die Kom­mu­nen — die finan­zi­el­len Fol­gen eines Aus­lau­fens der bun­des­sei­ti­gen ÖGD-Pakt-Finan­zie­rung ein?

Wenn kei­ne Anschluss­fi­nan­zie­rung vor­ge­se­hen wird, wird das Aus­lau­fen des Pak­tes für den ÖGD dafür sor­gen, dass auf­ge­bau­te Stel­len und qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal in den kom­mu­na­len Gesund­heits­äm­tern nicht gehal­ten wer­den kann. Die­ses Per­so­nal wur­de bereits vor der COVID-19 Pan­de­mie benö­tigt und hat in der Pan­de­mie­be­wäl­ti­gung und danach wich­ti­ge Auf­ga­ben über­nom­men, die nach wie vor aktu­ell blei­ben. Aus­rei­chend qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal ist ein wich­ti­ger Bau­stein für einen resi­li­en­ten ÖGD in Thü­rin­gen und bun­des­weit.

1https://gesundheitsrecht.blog/klimaanpassung-und-gesundheit/
2Sie­he Kas­ten 3.1–1 aus dem Haupt­gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats Glo­ba­le Umweltveränderungen(WBGU) Gesund leben auf einer gesun­den Erde (2023) https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2023/pdf/wbgu_hg2023_vorlaeufig.pdf
3https://www.bvoegd.de/berichte-des-beirat-pakt-oegd/
4https://zukunftsforum-public-health.de/download/health-in-all-policies-entwicklungen-schwerpunkte-und-umsetzungsstrategien-fuer-deuschland/?wpdmdl=2770&refresh=64a03396f1fd51688220566
5Sie­he hier­zu auch Wab­nitz K, & Baltruks D. (2023). Prä­ven­ti­on vor ambu­lant vor sta­tio­när: Für Gesund­heit inner­halb pla­ne­ta­rer Gren­zen. Cent­re for Pla­ne­ta­ry Health Poli­cy.
6https://www.umweltbundesamt.de/vorsorgeprinzip
7https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/nachhaltigkeit/umweltgerechtigkeit/

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