UMFRAGE ZEIGT HOHES BEWUSSTSEIN FÜR KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ VON ÄRZT:INNEN,ABER EINEN MANGEL AN DER UMSETZUNG UND FEHLENDE VERANTWORTUNG AUF DER LEITUNGSEBENE
Im September 2022 führte die Stiftung Gesundheit im Auftrag des Centre for Planetary Health Policy (CPHP) eine repräsentative Umfrage zum Stand der Transformation zu einem klimaneutralen und klimaresilienten Gesundheitswesen durch. Befragt wurden Führungskräfte und Fachärzt:innen zu ihrer persönlichen Einstellung und der Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie zu Barrieren bei deren Implementation.
Berlin, 10.11.2022: Der neue Bericht des Lancet Countdown on Health and Climate Change 2022 verdeutlicht, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellt. Gesundheitssysteme müssen sich auf die zukünftigen Herausforderungen wie Extremwetterereignisse vorbereiten und gleichzeitig ressourcenschonender werden. Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 (COP 26) bekannte sich Deutschland dazu im Gesundheitssektor Treibhausgasemissionen zu reduzieren, allerdings nicht zur Klimaneutralität dieses Sektors. Die Beschlüsse der derzeit laufenden UN-Klimakonferenz in Scharm asch-Schaich (COP 27) sind somit auch für die öffentliche Gesundheit und die Transformation der Gesundheitssysteme hoch relevant.
In Deutschland fehlt es bislang an einer nationalen Klimastrategie für das Gesundheitswesen. Doch die Umfrage der Stiftung Gesundheit im Auftrag des CPHP zeigt, dass die Relevanz und die Dringlichkeit der Thematik vielen Entscheidungstragenden im Gesundheitssektor bewusst sind.
„Die aktuell umgesetzten Maßnahmen für Klimaschutz in medizinischen Einrichtungen sind bei weitem nicht ausreichend, um der Klimakrise entgegen zu wirken“, sagt Christoph Dippe, CEO der Stiftung Gesundheit. „Dabei ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei den Führungskräften und in der Ärzteschaft vorhanden. Sie brauchen jetzt Unterstützung, etwa durch Aus- und Fortbildungen zum Thema.“
Die Ergebnisse im Überblick:
- Die große Mehrheit der befragten Ärzt:innen und Führungskräfte (80–90 %) ist sich bewusst, dass Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise in Gesundheitseinrichtungen ergriffen werden müssen, allerdings fühlt sich nur eine Minderheit in ihren Bemühungen von Kolleg:innen unterstützt (20%).
- Daneben fehlt es an fachspezifischem Wissen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie klarer Verantwortlichkeit auf Führungsebene. Fast die Hälfte der Führungskräfte (45%) wusste nicht, ob Emissionen ihrer Einrichtungen erfasst werden. Auch im Hinblick auf Klimaanpassungsstrategien besteht große Unkenntnis. So wusste fast ein Viertel der Klinik- und MVZ-Leitungen nicht, ob eine Gefährdungsanalyse der Einrichtung durchgeführt wurde (31%) oder ob ein Hitzeaktionsplan im Einsatz ist (26%).
- Ein häufig identifiziertes Hindernis ist die fehlende Verantwortlichkeit für Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Einrichtungen. Die Hälfte der teilnehmenden Führungskräfte (53%) und fast Dreiviertel (74%) der Ärzt:innen gaben an, dass hierfür keine Person dezidiert zuständig ist. Für die Mehrheit der Befragten (56%) stellte diese Lücke eine Barriere bei der Umsetzung von Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen dar.
- Weiterhin gaben zwei Drittel (69%) der Klinikleitungen an, dass noch keine konkreten Strategien zur Umsetzung von Umweltschutz und Nachhaltigkeit in ihren Einrichtungen definiert wurden.
Auch die ökologische Dimension des Themas Überversorgung spielt eine wichtige Rolle. „Knapp neun von zehn Ärzt:innen stimmen zu, dass die Vermeidung nicht notwendiger Therapien personelle und ökologische Ressourcen schonen würden. Dieses Potential gilt es zu heben“, sagt Prof. Dr. med. Kai Kolpatzik, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Gesundheit. „Die Vermeidung von Über- und Fehlversorgung in Deutschland muss deshalb zentraler Ansatzpunkt im Gesundheitswesen zur Bewältigung der Klimakrise werden.“
Was muss getan werden?
Gesundheitspolitische Implikationen der Umfrage sehen die Autor:innen in einem nationalen Plan „Klimaneutralität im Gesundheitswesen“ zur systematischen Erfassung und schrittweisen Reduktion von direkten und indirekten Treibhausgasemissionen sowie weiteren Umweltauswirkungen im Gesundheitssektor.
Daneben sollten Klinik‑, MVZ- und Praxisleitungen ihre Führungsrolle bei der klimaresilienten Transformation der Einrichtungen im Gesundheitssystem annehmen. Dabei können Verantwortliche zur Umsetzung von Klimaschutz- und Nachhaltigkeitszielen helfen, die Mitarbeiter:innen bei der Planung und Implementation einbinden.
Wichtig ist auch, Mitarbeiter:innen klima- und umweltrelevante fachspezifische Informationen zu vermitteln. Einen wichtigen Beitrag können hier Klimamanager:innen, Fachgesellschaften und die Landesärztekammern leisten, welche ihre Fort- und Weiterbildungsangebote entsprechend anpassen sollten.
„Umweltauswirkungen des Gesundheitssektors sollten systematisch erfasst werden, gleichzeitig müssen die Hürden für nachhaltige Investitionen so niedrig wie möglich sein. Klimaschutz ist Führungsaufgabe. Führungskräfte in allen Bereichen des Gesundheitswesens müssen Verantwortung bei der Transformation zu Klimaneutralität und Klimaresilienz übernehmen“, sagt Maike Voss, Geschäftsführerin des CPHP und Co-Autorin.