Perspektiven aus der Akteurslandschaft
Sophie Gepp1, Remco van de Pas2, Maike Voss2, Dorothea Baltruks1, Greta Sievert1, Juliane Mirow3
1 Centre for Planetary Health Policy
2 Centre for Planetary Health Policy (ehemals)
3 Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG)
DOI: 10.5281/zenodo.14917029
Executive Summary
Nationale Klima- und Gesundheitspolitik: Aktueller Stand
Deutschland sieht sich wachsenden Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel ausgesetzt. Dazu zählen intensivere Hitzewellen und UV-Belastung, extreme Wetterereignisse sowie die Ausbreitung von durch Vektoren übertragenen Krankheiten und Allergene. Dies belastet das Gesundheitssystem in Deutschland zusätzlich, das bereits mit einer alternden Bevölkerung, Finanzierungslücken und Personalmangel zu kämpfen hat. Die Bemühungen zur Lösung dieser Probleme sind in den letzten Jahren vorangekommen. Klimaanpassung wurde auf nationaler Ebene vor allem durch die Deutsche Anpassungsstrategie, das Klimaanpassungsgesetz sowie durch Hitzeaktionspläne auf Landes- und kommunaler Ebene vorangetrieben. Die Einbeziehung von Gesundheitsaspekten in der Klimaschutzgesetzgebung und umgekehrt Klimaschutzzielen in der Gesundheitsgesetzgebung ist jedoch nach wie vor begrenzt. Das öffentliche Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels sowie Unterstützung für Klimaschutz ist hoch, wobei die Kritik an bestimmten politischen Maßnahmen zur Emissionsminderung zugenommen hat.
Um den aktuellen Stand und die Möglichkeiten für eine stärkere Verknüpfung von Klima- und Gesundheitspolitik in Deutschland zu untersuchen, haben wir im Frühjahr 2024 insgesamt 25 Interviews mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen geführt und ausgewertet. Dazu gehörten Expert:innen aus Regierung, Gesundheitssektor, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in ihrer Arbeit mit Klimawandel, Gesundheit und verwandten Themen befassen.
Einschätzungen der Verknüpfung von Klima- und Gesundheitspolitik
Die für diese Studie befragten Teilnehmenden waren sich insgesamt einig, dass Klima- und Gesundheitspolitik enger miteinander verzahnt werden sollten. Vertreter:innen des Gesundheitssektors betonten die Dringlichkeit dabei allerdings stärker als Akteur:innen aus dem Klimabereich. Einigkeit bestand weiterhin darüber, dass beide Sektoren mehr politische Kohärenz benötigen: Hierbei plädierten die im Gesundheitssektor Tätigen für den „Health in All Policies“-Ansatz (Gesundheit in allen Politikbereichen), während Personen aus dem Klimabereich den Schwerpunkt darauf legten, Klimapolitik in andere Bereiche zu integrieren.
Die Verbindung von Klima und Gesundheit wurde als entscheidend angesehen, um breitere Gesundheitsfaktoren über Sozial‑, Verkehrs- und Ernährungspolitik anzugehen. Einige Befragte betonten zudem die Notwendigkeit von Maßnahmen, die soziale Gerechtigkeit fördern, insbesondere angesichts der ungleichen Auswirkungen des Klimawandels auf vulnerable Bevölkerungsgruppen. Zudem hoben manche die Bedeutung der gemeinsamen Verantwortung sowie systemischer Veränderungen für eine nachhaltige und gerechte Gesellschaft hervor.
Hindernisse bei der Verknüpfung von Klima- und Gesundheitspolitik
Die befragten Teilnehmenden waren sich weitgehend einig, dass begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen die größten Hindernisse für die Integration von Klima- und Gesundheitspolitik darstellen. Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Sektoren sowie begrenzte Kompetenzen an der Schnittstelle von Gesundheit und Klima in den Sektoren und Institutionen wurden als Hürden für die Entwicklung und Umsetzung umfassender Klima- und Gesundheitspolitiken angesehen. Freiwillige Initiativen, wie Maßnahmen zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitssektors, wurden als wenig wirkungsvoll beschrieben, wenn sie ohne verbindliche Vorgaben oder zweckgebundene Budgets umgesetzt werden.
Deutschlands föderale Strukturen und die Selbstverwaltung des Gesundheitssystems erschwerten die Entscheidungsfindung und die Koordinierung, so einige Teilnehmende. Zeitweise mangele es an funktionierender Kommunikation zwischen Regierungsebenen, Gesetzgebenden und den beteiligten Sektoren. Viele Teilnehmende wiesen auch darauf hin, dass das fehlende Bewusstsein und die mangelnde Dringlichkeit sowohl in der Politik als auch in der öffentlichen Wahrnehmung dazu führten, dass die Integration von Klima- und Gesundheitsthemen nicht ausreichend priorisiert werde. Kurze Wahlzyklen, wirtschaftliche Interessen und die Einflussnahme von Interessengruppen sorgten nach Ansicht der Befragten dafür, dass politische Entscheidungsträger:innen oft kurzfristige Strategien und finanzielle Aspekte den langfristigen Vorteilen für Klima und Gesundheit vorzögen. Zudem bliebe die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik schwach, und der Mangel an verlässlichen Indikatoren und Daten erschwere Fortschritte sowie die Rechenschaftspflicht zusätzlich.
Weiterhin lenke der Fokus auf Modellprojekte häufig von der Notwendigkeit ab, systemische Lösungen in größerem Maßstab umzusetzen. Gleichzeitig erschwerten festgefahrene Strukturen in bestehenden Systemen notwendige Veränderungen. Die Bewältigung der komplexen Zusammenhänge zwischen Klima und Gesundheit werde schließlich dadurch untergraben, dass Prävention nicht ausreichend priorisiert werde und es an Rechenschaftspflicht für langfristige Ergebnisse fehle.
Möglichkeiten zur Förderung und Integration von Klima- und Gesundheitspolitik
Mehrere Teilnehmende aus dem Gesundheitssektor betrachteten die Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten in Reformen des Gesundheitswesens als naheliegende Möglichkeit, Synergien zwischen besseren Gesundheitsresultaten und Klimaschutz zu schaffen. Häufig wurde dabei auf die aktuelle Krankenhausreform verwiesen, die eine Umstrukturierung und Verdichtung der Krankenhausinfrastruktur anstrebt, den CO₂-Fußabdruck der Krankenhäuser und andere ökologische Aspekte jedoch vernachlässigt. Auch die geplante Gründung einer neuen nationalen Behörde für öffentliche Gesundheit sahen die Befragten als Möglichkeit, Monitoring und Bewertung von Klimaauswirkungen auf die Gesundheit zu verbessern – vorausgesetzt, dass Mandat und Ressourcen der neuen Behörde dieses Thema umfassen.
Das enorme Potenzial positiver Effekte von Klimaschutzmaßnahmen für Gesundheit, zum Beispiel durch weniger Luftverschmutzung, mehr aktive Mobilität, mehr Grünflächen oder gesundheitsfördernde Ernährungssysteme, wurde als bislang kaum ausgeschöpft wahrgenommen. Einige Teilnehmende sahen auch Chancen in politischen Veränderungen und Wahlen sowie in lokalen Initiativen und Unternehmen, die klimafreundliche Technologien und Produkte vorantreiben, um neue Allianzen und Gelegenheiten für die Integration von Klima- und Gesundheitsthemen zu schaffen. Internationale Plattformen wie der Gesundheitstag auf der Weltklimakonferenz (COP) wurden ebenfalls als wichtige Treiber angesehen, um die Verknüpfung von Klima und Gesundheit auf globaler Ebene zu stärken. Einige Teilnehmende hatten jedoch den Eindruck, dass hier nach der COP28 zu wenig Aufmerksamkeit und Nachbereitung stattgefunden hat.
Strategien zur Förderung und Integration von Klima- und Gesundheitspolitik
Um Klima- und Gesundheitspolitik wirksam miteinander zu verknüpfen, sahen die Teilnehmenden die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit, gemeinsame Strategien und abgestimmte politische Ansätze über relevante Ministerien, Sektoren und Verwaltungsebenen hinweg zu stärken. Mehrere Teilnehmende schlugen vor, die strikten Grenzen von Staatsschulden und damit verknüpft für staatliche Ausgaben in Deutschland zu lockern. Außerdem regten sie an, Subventionen, die Klima und Gesundheit schädigen, umzulenken, um finanzielle Hürden zu überwinden. Einige regten darüber hinaus an, gemeinsame Budgets zwischen Sektoren einzurichten, neue Finanzierungsquellen zu erschließen und den gesundheitlichen Nutzen sowie die vermiedenen Kosten durch Klimaschutzmaßnahmen in Entscheidungsprozessen stärker sichtbar zu machen.
Die Verbindung zwischen wissenschaftlicher Evidenz und Politikgestaltung zu stärken, wurde ebenfalls als strategische Priorität gesehen. Hierzu gehörten der Aufbau einer soliden Datenbasis, das Schließen bestehender Lücken, die bessere Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Schulung von Fachkräften in der Übersetzung von Wissenschaft in Politik. Aufbauend auf bestehenden interministeriellen Arbeitsgruppen und sektorübergreifenden Austauschformaten schlugen die Teilnehmenden vor, die intersektorale Zusammenarbeit durch einen langfristigen strategischen Ansatz zu fördern. Dazu zählten das Identifizieren von Schlüsselpersonen für Veränderungen (change agents), der Übergang von Einzelprojekten zu integrierten und institutionalisierten Mechanismen und Strukturen sowie die Betonung von Führungsstärke im Nexus Klima und Gesundheit.
Die Teilnehmenden schlugen vor, gesetzlich verbindliche Vorgaben sowie Folgenabschätzungen stärker in legislative Strategien zu integrieren, bestehende Gesetze anzupassen und rechtliche Mittel einzusetzen, um Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Die Befragten beschrieben zudem effektive Kommunikationsstrategien, bei denen geschulte Kommunikator:innen eingesetzt würden, um ein breites Spektrum von Interessengruppen mit positiven Geschichten und Betonung von Co-Benefits (wechselseitigen Vorteilen für Umwelt, Klima und Gesundheit) anzusprechen. Die politische Arbeit solle sich auf maßgeschneiderte Botschaften für Entscheidungsträger:innen konzentrieren und politische Gelegenheitsfenster wie Wahlen nutzen, um die Positionen von Parteien zu beeinflussen. Die Zivilgesellschaft und öffentlicher Druck sollten hierbei aktiv eingebunden werden.
Übergreifende Strategien mit einem konsequenten Fokus auf ambitioniertem und sozial gerechten Klimaschutz wurden als unverzichtbar angesehen. Dazu sollten politische Bildung und die Berücksichtigung von Gerechtigkeit und Fairness in politischen Maßnahmen gehören, um die demokratische Stabilität und das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern. Außerdem betonten die Teilnehmenden die Bedeutung der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteur:innen in politischen Netzwerken, um sich über bewährte Methoden und Aktivitäten auszutauschen und durch Fakten und Empfehlungen politischen Einfluss auszuüben.
Mögliche Implikationen für Entscheidungstragende und nichtstaatliche Akteur:innen
Entscheidungstragende auf Bundesebene könnten Gelegenheiten nutzen, Klimaschutzmaßnahmen stärker in Reformen des Gesundheitssektors zu verankern und Gesundheitsaspekte in Klimastrategien zu integrieren. Auf diese Weise ließen sich die wechselseitigen Vorteile für Klimaschutz, die Gesundheit und langfristige öffentliche Finanzen besser ausschöpfen. Gesetze mit verbindlichen Vorgaben für Klimaschutz im Gesundheitssektor, Klimaanpassungsmaßnahmen mit Gesundheitsbezug und Gesundheitsmaßnahmen mit Klimavorteilen könnten Fortschritte beschleunigen und ausweiten. Politische Entscheider:innen könnten sich außerdem auf strukturelle Präventionsmaßnahmen konzentrieren, den Einfluss kommerzieller Interessen stärker regulieren und dafür sorgen, dass Klimaschutzmaßnahmen sozial gerecht gestaltet sind. Damit könnten sie den ungleichen Auswirkungen des Klimawandels auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen entgegenwirken.
Bundesministerien und ‑behörden, die für Gesundheit, Klima, Umwelt und Soziales zuständig sind, könnten ihre Zusammenarbeit im Rahmen der nationalen Klimaanpassungsgesetzgebung ausbauen, indem sie enger ressortübergreifend kooperieren und ihre Politiken besser abstimmen. Der Fokus sollte von kurzfristigen Projekten und der Abhängigkeit von engagierten Einzelpersonen hin zu dauerhaften Strukturen und Programmen verlagert werden, die Klima- und Gesundheitsaspekte miteinander verbinden. Dies könnte nichtstaatlichen Akteur:innen und Bürger:innen eine verlässlichere Orientierung und klare Handlungsrahmen bieten.
Der Gesundheitssektor hat durch seine Selbstverwaltungsstrukturen erheblichen Einfluss auf die Gesundheitspolitik. Daher könnte er gemeinsam mit den Gesundheitsministerien auf nationaler und Länderebene gemeinsame Ziele und Strategien vereinbaren, um auf Klimaneutralität des Sektors hinzuarbeiten, Ziele der öffentlichen Gesundheit zu priorisieren und resilienter gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels zu werden. Die Verknüpfung von Klima und Gesundheit könnte verstärkt in die Ausbildung und die kontinuierliche berufliche Weiterbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen integriert werden. Dies würde sicherstellen, dass die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels angemessen berücksichtigt werden und das Bewusstsein dafür geschärft wird.
Forschende spielen weiterhin eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer soliden Wissensbasis für die Verknüpfung von Klima und Gesundheit. Es wäre insbesondere hilfreich, wesentliche Wissenslücken zu schließen, vor allem in der Implementierungsforschung sowie der Evaluierung bestehender politischer Maßnahmen. Auch besser quantifizierbare Bewertungen der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels könnten einen wichtigen Beitrag leisten. Mögliche Schwerpunkte könnten unter anderem Studien zur politischen Steuerung (Governance) an der Schnittstelle von Klima und Gesundheit auf allen Ebenen sein, ebenso wie interdisziplinäre Forschung zu Verhaltensweisen sowie zu sozialen und kulturellen Dynamiken. Der Aufbau von Kompetenzen zur effektiven Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an politische Entscheidungsträger:innen und die Öffentlichkeit könnte zudem eine Chance sein, die Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Politik zu stärken.
Forschungsförderer und philanthropische Organisationen könnten in Betracht ziehen, gemeinsame Finanzierungsquellen zu erschließen, um die Integration von Klima- und Gesundheitsmaßnahmen zu unterstützen. Um langfristige Wirkungen zu erzielen, könnten sie den Schwerpunkt auf die Verstetigung erfolgreicher Modellprojekte legen und die Entwicklung nachhaltiger Strukturen unterstützen.
Organisationen, die sich für Klima- und Gesundheitsthemen einsetzen, könnten auf bestehenden und wachsenden Netzwerken aufbauen, um Erfahrungen auszutauschen, ihre Arbeit zu koordinieren und gemeinsame politische Forderungen zu entwickeln. Ein zentraler Erfolgsfaktor für effektive Interessenvertretung (Advocacy-Arbeit) ist die Entwicklung maßgeschneiderter Botschaften: Diese müssen die Perspektiven und Anreize der politischen Entscheidungsträger:innen berücksichtigen, sie gleichzeitig in die Verantwortung nehmen und sich auf multidisziplinäre wissenschaftliche Evidenz stützen. In Netzwerken und Allianzen könnten Organisationen, die sich für Klima und Gesundheit engagieren, politische Gelegenheitsfenster wie Wahlen nutzen, um die Positionen der Parteien zu diesen Themen zu beeinflussen. Strategische Kommunikationskampagnen könnten dabei helfen, Brücken zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, den Medien und politischen Entscheidungsträger:innen zu bauen. Engagierte Akteur:innen können eine Schlüsselrolle darin spielen, Klima- und Gesundheitsthemen systematisch in die politische Agenda zu integrieren, Partikularinteressen in Frage zu stellen und über isolierte Bemühungen hinaus zu einem einheitlicheren und kohärenteren politischen Rahmen beizutragen.
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Zitationsvorschlag:
Gepp, S., van de Pas, R., Voss, M., Baltruks, D., Sievert, G., Mirow, J. (2025). Advancing Climate Change and Health
Policies in Germany: Insights from National Policy Stakeholders. https://doi.org/10.5281/zenodo.14917029
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